Ausgabe Oktober 2008

Sonnenuntergang, Österberg, Tübingen; Foto Volker Friebel

 


 

Herbstwind
aus dem Rauschen löst sich
ein Blatt

Gabriele Reinhard

 

Die Spange in ihrem Haar
ein Schmetterling

Tobias Krissel

 

Honig abfüllen …
ein leises Singen
im Glas

Bernadette Duncan

 

Britisches Museum.
Chinesen betrachten
chinesische Jade

Angelika Wienert

 

Herbstnacht –
die Stirn glätten
im Wind

Helga Stania

 

nächtliche Zugfahrt –
Großstadtlichter fließen
durch dein Gesicht

Andrea D’Alessandro

 


 

Ferienende
am Strand ein vergessener
Sonnenschirm

Melanie Anheier

 

Tief ziehen die Wolken
über den Fluß …
Fröstelnd bleibe ich zurück

Wolfgang Beutke

 

der erste Mondtag –
ein Mädchen erwacht
mit Klatschmohnblüten

Gerd Börner

 

nahe der Weiden
deine Brüste baden
in meinen Händen

Gerd Börner

 

Im Flur
das Flackern
des Fluchtweges

Ralf Bröker

 

September.
Zum strengen Knoten gebunden
ihr lockiges Haar

Andrea D’Alessandro

 

nach dem Traum
aufgewacht in einer anderen
Jahreszeit

Michael Denhoff

 

In der Kehrschaufel –
wie mein weißes Haar blitzt
zwischen dem dunklen

Luise Eilers

 

Aus dem Spiegel blickt
meine tote Mutter –
sprachlos

Roswitha Erler

 

da wartet mein kater
auf fressen und schnurrt
die wand an

Paula Peh Gelbke

 

Singsang
im Nebenzimmer –
ich starre ins Dunkel

Martina Heinisch

 

feldeinwärts –
die Abendsonne spinnt Stroh
zu Gold

Angelika Holweger

 

wolkenschatten –
das land im wechselnden licht
ein atmender leib

Peter Janßen

 

An der Ostsee –
jede Welle zeichnet
den Strand neu

Franz Kratochwil

 

Auf dem Flohmarkt –
ein Kochrezept entdeckt
in Goethes Werken

Franz Kratochwil

 

sonnenuntergang im rückspiegel
das polizeiauto

Tobias Krissel

 

Beim Blumenkaufen
die blauen Augen
des Gärtners.

Marianne Kunz

 

Die Tür schlägt im Sturm
Laub fegt ins Haus
der Hund schlägt an

Helga G. Lange

 

Die Straße bergan
und schon rot der Gerberstrauch.
Dich, mein stilles Tal …

Horst Ludwig

 

ein schwerer Riegel
rostet an der Tür zum Schuppen
der Zwangsarbeiter

Ina Müller-Velten

 

Abenddämmerung.
Messer, Gabel. Schere.
Licht

Helga Niewerth

 

Spätsommerfülle –
das Gras
wie grünes Feuer

Viola Otto

 

Herbstblütenhonig –
die letzten Sonnenstrahlen
auf dem Frühstücksbrot

Clemens Plate

 

am grab
mein atmen
trennt uns

René Possél

 

jeden tag blätter
unter dem baum gelesen
nichts neues vom herbst

René Possél

 

Mondfahrt
ihr Gesicht
im Zugfenster

Kai Preuß

 

Zugvögel
neben den Schienen
ein weinendes Kind

Gabriele Reinhard

 

Mittagsstille
eine Sense schwingt
im Atemtakt

Helga Stania

 

Septemberregen
Der Saum des Sommerkleides
an ihren Waden

Heike Stehr

 

Winterdämmerung
ich lasse die Hitze
aus einem Knödel

Dietmar Tauchner

 

warten …
über den silberstreif
kommt die fähre

Felicitas Christine Vogel

 

Keinen Ort
erreiche ich an diesem
heiteren Tag

Udo Wenzel

 

die alte „Landbrugg“:
zwischen Quadersteinen
blüht Sommergras

Angelika Zielinski

 

Vom 1. bis 30. September 2008 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 213 Haiku von 51 Autoren ein. Ich habe 39 ausgewählt, sechs davon als besonders gelungen. Diese Sechs stehen vorn, in willkürlicher Reihenfolge; die Texte dahinter sind nach den Autorennamen alphabetisch geordnet. Von jedem Autor wurden höchstens zwei Haiku aufgenommen.
Volker Friebel