Ausgabe November 2009

Fenster 4 – Haiku-Besprechung von Ramona Linke

 

Herbstlaub; Foto Volker Friebel

 


 

Wie es windet! Am Bug der Fähre drängen sich die Reisenden.

Ina Müller-Velten

 

wortlos wir drei …
mit dem Donnern der See
auf das Licht warten

Gerd Börner

 


 

Herbstlaub.
Unsere Schritte rascheln
im Takt.

Sigrid Baurmann

 

Vergessene Ballade …
Aus dem Treibholz tritt
der Mond

Wolfgang Beutke

 

Auf der Fensterbank
blendet der Morgen –
den Koran auf dem Schoß

Gerd Börner

 

Schichtende
das Fabriktor entlässt
lange Schatten

Claudia Brefeld

 

Hinter der Kirche.
Die ewige Flamme
des Feuerzeugs

Ralf Bröker

 

Dem Berg einen See
zurückgeworfner Töne:
Allerseelentag.

Beate Conrad

 

Wortgefecht.
Der Steg für uns beide
viel zu schmal

Andrea D’Alessandro

 

Brombeerfrost
der kleine Traktor
steht vergessen

Bernadette Duncan

 

gleichzeitig pflügt er
eine Reihe Erde
eine Reihe Himmel

Bernadette Duncan

 

Sonntagmorgen … wach
den Traum zu Ende träumen

Roswitha Erler

 

Herbstnebel –
er poliert seine Brille
zum zweiten Mal

Gisela Farenholtz

 

Baummond –
eingestiegen
in den leeren Bus

Martina Heinisch

 

allein –
schwarzschwere Wolken
löschen die Abendglut

Angelika Holweger

 

Abendwolke –
gerade noch zog sie
einen Faden Glut

Ilse Jacobson

 

die fruchtfliege
noch beim ertrinken
stumm

Tobias Krissel

 

Herbsthimmelblau –
allein der Mond
ist wahr.

Tobias Krissel

 

Obdachlos
ihr Atem verhaucht
vor der warmen Stube

Marianne Kunz

 

Betzeitläuten –
innehalten am Spaltklotz
in Vaters Armen

Marianne Kunz

 

Herbststurm
der Mond steht
still

Helga G. Lange

 

Traumschwer erwacht –
so viele fremde Leben
in mir.

Hans Lesener

 

der Acker dampft
in der Novembersonne
jenseits geht wer

Michael Lindenhofer

 

Nächtens im IC
über die Kölner Brücke
leise, fast dranglos

Horst Ludwig

 

Herbstabend – allein im Garten mit dem Geräusch fallender Blätter

Ina Müller-Velten

 

Beißende Kälte
im Schlafsack des Bettlers
der Hund

Helga Niewerth

 

Regenfluten die Felder brach im Glanz von gestern

Helga Niewerth

 

ansturm der blätter
vergeblich kämpft der ritter
mit dem reisigschwert

René Possél

 

bei Ebbe
entlang der Wasserlinie
Schlammwellchen

Marie-José Quartier-Van Uffelen

 

ihr Duft
im leeren Flur – am Ende
die sich schließende Tür

Gabriele Reinhard

 

Wolkenfahnen –
Wind fegt
deine Stimme fort

Helga Stania

 

Dünenrauschen
Hinter den Muscheln
stehen Sandgrate

Heike Stehr

 

Ein Regenschauer
reinigt die Via del Corso
von Menschen

Dietmar Tauchner

 

hohe Fichten verlängern mich in den Himmel

Dietmar Tauchner

 

GEBETSFAHNEN
AUF DEM BALKON
DER GLAUBE FLATTERT
IM WIND

Jutta Tessnow

 

GEBETSFAHNEN
IM STURM
DER WIND ZERFETZT
DEN GLAUBEN

Jutta Tessnow

 

Nach dem Aufstehen –
die Kerzen von gestern Nacht
brennen immer noch.

Melanie Wegner

 

Herbstspaziergang –
in den Zweigen
wächst das Blau

Hannah Wilhelm

 

Vom 1. bis zum 31. Oktober 2009 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 153 Haiku von 52 Autoren ein. Ich habe 38 ausgesucht, und 2 davon besonders hervorgehoben. Diese Zwei stehen vorn. Die Texte dahinter sind nach den Autorennamen alphabetisch geordnet. Von jedem Autor wurden höchstens zwei Haiku aufgenommen.
Volker Friebel

 

Sonderbeitrag

Fenster 4 – Haiku-Besprechung von Ramona Linke