Buchvorstellung von Volker Friebel
Bernadette Duncan (2025): Wörter die das Herz bedeuten. Neue Haiku. BoD, Hamburg. Taschenbuch, 112 Seiten, 10 €.
Erhältlich im Buchhandel, hier ein Link zu Amazon.
Das zweite Buch von Bernadette Duncan, nach ihrem ausgezeichneten „zum graureiher verdichtet“ von 2020, enthält 122 Haiku, verteilt auf vier Kapitel. Geschrieben wurden die Verse zwischen 2020 und 2025 und zum großen Teil bereits von Zeitschriften und Anthologien angenommen.
morgens das helle der tropfen
die schnee waren
Ein Haiku, das ganz von der Assoziation zwischen der Helle der Tropfen und dem vergangenen Schnee lebt. „Morgens“ bringt noch einen Anfang, eine Hoffnung, womöglich eine Zuversicht in die Stimmung des Textes hinein. Ich finde den Text zauberhaft – obwohl (oder weil) er nichts erklärt und keine Erklärung benötigt. Blättere ich in Lyrik etwa der deutschen Klassik, finde ich fast nur Texte, die eine Geschichte erzählen, die sich zusammenfassen und interpretieren lassen. Texte der Art dieses Haiku scheinen mir etwas Neues in der Lyrik zu sein, jedenfalls dass eine solche Art von Dichtung nicht eingebunden in einen längeren sinnhaften Text ist, sondern ganz für sich stehen und Lesern vorgelegt werden kann. Ich finde, das ist eine bedeutende Bereicherung der Lyrik.
Mit Sprache können wir wunderbarerweise das, was wir meinen und fühlen, was sich also doch in unserem Inneren abspielt, sichtbar machen und mitteilen. Ich bin immer wieder erstaunt und erfreut, aber auch irritiert, dass Bildern und Musik das auch gelingt, anders, aber doch vergleichbar intensiv. Irritiert, weil Intellektualität, Rationalität in Bildern und Musik so gut wie gar nicht aufgenommen werden können, also offenbar für unser Herz nicht so wichtig sind. Obwohl sie bei Sprache gar nicht anders können, als in jedes Wort hineinzuspielen.
Nicht jedes der Haiku von Bernadette Duncan ist so. Selbstverständlich kommt auch Sinn vor, Humor, auch Gesellschaftskritik, die Texte des Buchs sind sehr unterschiedlich.
der Hund dessen Herrchen
aufs Handy schaut
grüßt zurück
Die Stimmung der Texte meist leicht, licht, heiter – was, wie ich denke, schwer erarbeitet ist in den Wogen der Zeit. Das Herz des Lesers reist gerne mit.
Montagseinkauf
zahle gleich viel
für Rose und Brot
Das ist mir seit Jahren eines der liebsten Haiku. Seiner Bedeutung wegen, und der Sprache wegen, die die einfachen Wahrheiten des Lebens angemessen überträgt. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, ist weiter gefasst, offener. Aber das Brot steht dort allein und zentral, was es eben doch als das Wichtigste erscheinen lässt, von dem wir leben. Unter „nicht allein“ wird alles andere subsummiert und bleibt ohne eigene Erwähnung. Im Haiku von Bernadette Duncan sind Rose und Brot gleichwertig nebeneinandergestellt – und ausgerechnet das Geld und der Markt sind Zeugen dafür.
Die Liebe zur Natur und unseren kleinen Geschwistern thematisiert ein anderes Haiku.
sonnige Bank am Waldrand
nachdem ich Fuchs, Reh,
Rabe war
Als ich diese Verse zum ersten Mal las, war ich verwundert und fragte mich: „Ist da nicht ein Fehler?“ Aber es gibt keine Fehler. Verse sind, was sie sind, und als solche zu lesen, ohne Rückgriff auf eine Vorschriftentafel. Allerdings kann man sich fragen, ob die Autorin zur Darstellung ihrer Aussage geschickter hätte verfahren können. Fast immer ist es besser, bei der Einzahl zu bleiben, das wäre hier: ein einziges Tier zu nennen, weil es einfacher und damit prägnanter ist. Aber nicht immer. Und je öfter ich das Haiku las, umso lieber wurde es mir gerade in der gewählten Form.
Ich könnte versuchen, das zu erklären, zu begründen: Vielleicht stellte sich mir eben durch die Gewöhnung, das mehrmalige Lesen, die Einfachheit immer mehr her. Oder mir kam in den Sinn, dass durch die Nennung von gleich drei Tieren das Spielerische und nicht nur auf ein bestimmtes, sondern auf alle Tiere Bezogene in der Identifikation oder im Nachspüren besser zum Ausdruck kommt.
Aber besser ist es vielleicht, Verse so zu nehmen, wie sie sind, ohne Erklärung, ohne Interpretation, und zu spüren, ob sie uns ansprechen, ob sie einen Assoziationsraum auch für andere Leser bieten.
wir sind mondverwandt
sagt eine nachts
im ICE
kurz vor der Arbeit
ihr privates Gesicht
Morgenröte
Kaffeepause
zwei ITler entdecken
ein wildes Bienenvolk
bis wir innen und außen menschen sind
sturm im herbst
schnee auf schnee
die hundert namen
für licht
Bernadette Duncan ist wieder ein Buch mit großer Sensibilität gelungen, das zu lesen Freude macht und das uns eintauchen lässt in die Welt, mit anderen Augen, also tiefer, als wir es im eigenen Alltag vermögen. Die Texte inspirieren dazu, die Welt um uns herum tiefer wahrzunehmen, mehr zu verweilen, genauer zu schauen, zu spüren, wie die einfachen Dinge uns berühren, erstaunen und klar werden lassen.
Eine starke Empfehlung für dieses Buch.