Vier Tanbun

Gerd Börner

 

Eine alte Gardine weht aus dem Fenster im Haus am Bahndamm.

Bei Freunden –
am oberen Tischende
wird gelacht

– – –

 

daheim

Die Bäume sind die alten – größer, ja – aber die Sprache ist verschwunden.

Suleyken
altgelb
zerlesen

– – –

Bruch
in das Adagio
springt die Türklinke hoch

An das Glas schlägt der Ring des anderen

– – –

die ganze Nacht Neonlicht in den Linden

festgetretener Schnee
lange noch
das Hurenlächeln

 

Eine besondere Form des Haibun, die Verbindung von sehr kurzer Prosa mit einem Haiku, taucht seit 1997 in den verschiedensten englischsprachigen Portalen auf, die die Entwicklung der Kurzlyrik nach japanischer Tradition vorstellen. Der amerikanische Autor, Larry Kimmel, konzentrierte sich auf die Kopplung von 31 oder weniger Silben eines Prosateiles mit einem vor- oder nachgestellten Haiku bzw. Tanka. In der amerikanischen Haiku-Welt hat sich für diese spezielle Form des Kurz-Haibun der Name Tanbun durchgesetzt, weil tanbun auch im Japanischen „ein kurzes Stück, eine kurze Komposition“ oder „ein knappes Prosa-Gedicht“ bedeutet. Der passende deutschsprachige Terminus für diese Kurz-Haibun wird sich entwickeln …

Das Tanbun oder das Kurz-Haibun hat das besondere Potential, den bildmalerischen Stil des Haiku zu vertiefen. Darüber hinaus bietet diese Form des Haibun Möglichkeiten der Gegenüberstellung von Natur bzw. Ereignis und einer emotionalen Ebene. Auch gemeinschaftliche Arbeiten mit anderen Autoren eröffnen sich. Satirische oder humorvolle Elemente können ebenso eingearbeitet werden wie Pivot-Wörter, Redewendungen, kulturelle oder literarische Anspielungen. In jedem Fall sollten aber beide Teile, Prosa und Haiku, unabhängig für sich stehen können, sich nicht gegenseitig ankündigen, interpretieren oder Inhalte zusammenfassen – sondern sich auf einer gemeinsamen Ebene treffen bzw. sollten sich Augenblicksbeobachtung und persönliche Emotionen gegenüberstehen bzw. ergänzen können.

 

Ersteinstellung: 15.09.2007