Sonnenblumen

in Texten von Maurice Regnault und Roman York
Mario Fitterer

 

Grands tournesols,
Le soir,
Face à l’horizont vide.

Große Sonnenblumen
Am Abend,
vor dem leeren Horizont.

Der von Eugen Helmlé übersetzte „Dreizeiler“ von Maurice Regnault (aus: „Résonances. Französische Lyrik seit 1960“, herausgegeben von Eugen Helmlé, 1989) hält die Schlußszene fest. Der Scheinwerfer fokussiert Sonnenblumen und Horizont, an dessen Leere die Blumen, orientierungslos geworden, die Leuchtkraft verloren. Der leere Horizont ist Wand und weitet zugleich den Blick in nicht Endendes und in das Wiederaufgehen der Sonne Endendes.

Im Haiku von Roman York (1935-1996)

der alte friedhof
am fluß,         felderweit umstehn
ihn sonnenblumen

(seinem Band „GLASFELDER. kurzgedichte“, 1998, entnommen) orientieren sich die Sonnenblumen nach zwei Seiten hin. Nach der Sonne ausgerichtet, umstehen sie felderweit den alten Friedhof und machen den Ort, wo alles zur Ruhe kommt, zum Mittelpunkt. Das Bild wirkt nur vordergründig statisch. Der alte Friedhof, Zeichen der ewigen Ruhe, und letztlich auch er vergänglich, ist über die f-Alliteration Teil der Bewegung des Flusses, in die die Felder mit den Sonnenblumen einbezogen sind. Deutlich jedoch bleiben die Sonnenblumenfelder als flüchtige Erscheinung durch eine Leerstelle vom Dauerhafteren der Gegend, altem Friedhof und Fluß, abgehoben.

Ein Bild der Ruhe und der doppelten Bewegung: alles ist in Fluß, verfließt und mündet, während die Sonnenblumen sich diesseits noch nach dem Licht drehen.

 

Ersteinstellung: 10.06.2005