Ruth Franke
Von seinem Schlaganfall hat er sich gut erholt, der pensionierte Studienrat. Vor zwei Jahren war er noch halbseitig gelähmt, seither hat er hart an sich gearbeitet, jetzt fährt er sogar Rad. Etwas steifbeinig zwar, das linke Bein muss das rechte mit bewegen, aber ein großer Schritt zur Unabhängigkeit. Er war immer schweigsam und zurückhaltend, mehr als einen freundlichen Gruß hatten wir nie gewechselt. Seine Krankheit hat ihn verändert, er ist gesprächiger geworden.
Gerade schiebt er sein Fahrrad aus der Einfahrt heraus, die Aktentasche auf dem Gepäckträger, seine Instrumententasche in der Hand. Schön, dass er sein altes Hobby wieder aufgenommen hat, denke ich. Musizieren macht Freude und hilft über Probleme hinweg. Vielleicht spielt er im Kreise ehemaliger Kollegen, so lässt sich der plötzliche Berufsausstieg leichter überwinden.
Schon immer habe ich gerätselt, was für ein Musikinstrument das sein kann, die Tasche hat eine eigenartige Form: ein langer, schlanker Hals, der sich nach unten verbreitert. Ein altes Streichinstrument?
Jetzt, er will gerade aufsteigen, fasse ich mir ein Herz und frage ihn. Bereitwillig öffnet er die Tasche.
Fliegende Ziele
sich konzentrieren
auf Tontauben
Ersteinstellung auf Haiku heute: 15.06.2007
Erstveröffentlichung in Modern Haiku, Volume 38.1/2007