Ein Haikustein in Tübingen

Volker Friebel

 

Steine mit einem Haiku als Inschrift werden in Japan zur Ehrung bedeutender Menschen, als Gedenksteine also, gesetzt. – Aber bei uns?

Mitten im Gewirr des Neuen Klinikums Tübingen, hoch über der Stadt, liegt ein Haikustein für Erwin Bälz. Geboren 1849 in Bietigheim, studierte dieser in Tübingen Medizin. 1876 wurde er als Internist an die medizinische Hochschule in Tokio berufen. Er blieb bis 1905 in Japan und unterrichtete westliche Medizin. Sein Einfluss an der Universität und als Hofarzt der kaiserlichen Familie war groß, er gilt als Begründer der modernen Medizin in Japan. Er beschäftigte sich auch mit japanischen Heilquellen und verfasste eine Schrift zu deren therapeutischer Erschließung. Auch war er Kunstsammler, viele Stücke sind heute im Stuttgarter Linden-Museum zu sehen. Sein Geburtsort Bietigheim pflegt, inzwischen vereinigt zu Bietigheim-Bissingen, eine Städtepartnerschaft mit dem japanischen Kusatsu, dessen Erschließung als Kurort wesentlich auf Bälz zurückgeht. Er brachte allerdings nicht nur Neues, sondern griff auch Altes auf und bereitete es für eine neue Zeit. Aus der Beschäftigung von Bälz mit den damals in Japan als „altmodisch“ abgetanen Kampfkünsten der Samurei folgte deren Wiederbelebung und die Weiterentwicklung zum heutigen Judo. Zur Ruhe setzte er sich mit seiner japanischen Frau in Stuttgart, wo er 1913 starb.

Mit dem Haiku hat Bälz anscheinend nichts zu tun. Aber der Haikudichter Shuoshi Mizuhara (1892-1981) studierte bei Schülern von Bälz Medizin. Mehrere Haiku auf japanischen Gedenksteinen für Erwin Bälz stammen von ihm. Und so hat der „Medizinmann“, wenn auch zunächst ganz unverstanden und lang nach seinem Tode, sogar noch etwas zum Bekanntwerden japanischer Kultur in seinem Heimatland bewirkt.

Die Inschrift des Haikusteins in Tübingen lautet:

Kimi ni yorite / Nihon-Igaku no / Hana hiraku            Shuoshi

Wörtliche Übersetzung von Mieko Schroeder:

Durch dich / japanische Medizin / erblüht            Shuoshi

Literatur

Möller, Michael: Medizinmann aus Schwaben. Erwin Bälz modernisierte Japans Heilkunde. Die Welt, Artikel vom Freitag, 01.04.2005

Mönch, Marianne: Freundschaftsreise des Verbandes der Deutsch-Japanischen Gesellschaften, 20.03.-03.04.2005. Pdf-Datei, März 2005.

Wikipedia, Stand 28.11.2005 (de.wikipedia.org/wiki/Erwin_Bälz)

Vielen Dank an Mieko Schroeder für die wörtliche Übersetzung der Tübinger Inschrift und für zusätzliche Informationen!

 

Ersteinstellung: 05.12.2005