Haiku-Fenster 1

von Volker Friebel

 

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die unsichtbaren Muster
der Mauersegler

Bernadette Duncan

 

Die Weite des Meeres, des Himmels, in dieser Weite die Spurlosigkeit. Alles was eben noch war, schon ist es ausgelöscht, Himmel und Meer sind immer offen für alles Neue.

„Ein Spiegel reflektiert von Moment zu Moment das, was vor ihm auftaucht, bis ins kleinste Detail. Taucht dann als nächstes etwas anderes auf, so bleibt keine Spur des Vorhergegangenen im Spiegel zurück, und das Neue wird ungetrübt reflektiert. Genau dies bedeutet „frei zu sein von Verwicklungen“. Auch mit einem Fotoapparat wird der jetzige Moment bis ins kleinste auf dem Film wiedergegeben, bis zu diesem Punkt gleicht dies dem Wirken eines Spiegels. Die widergespiegelte Form vergeht jedoch nicht wieder. Wenn man deshalb auf den gleichen Film den nächsten Moment aufnimmt, dann überlagern sich die verschiedenen Bilder, und das Resultat ist lediglich Verwirrung.“ (Soko Morinaga Roshi)

Unser Geist sucht noch dort, wo es gar keine geben kann, nach Spuren und Mustern. So ist er groß geworden in der Welt, so hat er die Dinge zu beherrschen gelernt. Die Offenheit aber hat er eben damit verloren, und auch die Wahrheit, gefangen in einer künstlichen Welt aus Einstellungen und Hypothesen. Das Meer weiß nicht, der Himmel fragt nicht, so sind sie offen.

 

Donauquelle, Donaueschingen

 


 

Bernadette Duncan, *1965 in Oberbayern, Mutter von vier zum Teil schon flüggen Kindern, lebte 15 Jahre in Schottland, Studium Waldorfpädagogik in Edinburgh und Stuttgart, zur Zeit Englischlehrerin in der Erwachsenenbildung und Übersetzerstudium in Stuttgart.

Haiku und biografische Daten sind entnommen: Lauschen der Bach. Haiku-Jahrbuch 2008. Wolkenpfad, Tübingen, 2009.

Der Text von Soko Morinaga Roshi steht in Seng-Ts’an: Die Meißelschrift vom Glauben an den Geist. Scherz-Verlag, München, 1991, Seite 139.

Zusammenstellung, Begleittext, Foto: Volker Friebel.

 

Ersteinstellung: 15.06.2009