Haiku-Fenster 2

von Ramona Linke

 

Eisgang –
In der Biegung des Flusses
türmt sich die Zeit

Wolfgang Beutke

 

 

Was ist Zeit? Zeit haben wollen für bestimmte Tätigkeiten, uns Zeit nehmen, mit lieben Menschen Zeit verbringen, emsig sein oder in Ruhe Zeit verstreichen lassen. Hier im Haiku erfahren wir von einem Glücksfall, so viel Zeit, dass sie sich türmt, Zeit im Überfluss.

„Es gibt nämlich eine Vertauschungsgrenze, auf der das Große und das Unendliche nicht nur begrifflich verwandt erscheinen, sondern tatsächlich und vollkommen ineinander übergreifen. Im Zwange des arithmetischen Zählens wird man sie nie erreichen; aber von der anderen Seite umspinnt uns ein anderer Zwang, der von der Erfahrung herrührt, und es zeigt sich, daß dieser zur Gestaltung unserer Denkform vielfach die Oberhand gewinnt. Sobald dieser Fall eintritt, erscheint jene Vertauschungsgrenze als eine Denknotwendigkeit, und in ihrer Nähe gewinnt die Zahl, oft schon unterhalb der Billion, den Charakter der uferlosen Unendlichkeit.“ (Alexander Moszkowski)

Treibeis, im Laufe einer Kälteperiode bizarr übereinandergeschoben, das solange in der Flussbiegung verharrt, bis es dahinschmilzt, fließt, wieder im Fluss ist, im Laufe der Zeit.

 

 

Wolfgang Beutke wohnt in der Nähe von Hamburg.

Haiku und biografische Daten sind entnommen aus Lauschen der Bach. Haiku-Jahrbuch 2008. Wolkenpfad, Tübingen, 2009.

Der Text von Alexander Moszkowski (1851-1934) steht in „Unglaublichkeiten“ (Paradoxe), ebendort in: „Unermesslich“.

Zusammenstellung, Begleittext, Foto: Ramona Linke.

 

Ersteinstellung: 15.07.2009