Hans Lesener
Allerheiligen, Allerseelen – die Gräber auf dem Friedhof herausgeputzt mit Blumen, Kerzen, Gestecken aus dem Gartencenter. Dazwischen eine dunkle Gruft: immergrüner Bodendecker, Efeu auf einer flachen Platte, alles überweht mit trocken-braunem Laub. Das Grab der Eltern.
Ewigkeitslichter –
die roten Hüllen
ausgebrannt
Einige Grabstellen weiter harkt eine Frau. Sie schaut herüber, mißbilligend, wie es scheint. Das ist mir peinlich. Seit Ostern war ich nicht mehr hier.
Aber ich merke: Dieses Grab fordert dazu auf, sich unter die Oberfläche zu denken, tief nach unten, wo die Toten in der Erde liegen, ihre zerfallenden Skelette, ihre Asche in einem Krug ohne Henkel. Bei einer Exhumierung habe ich einmal einen Sarg gesehen, in den eine Glasscheibe eingelassen war; auf den gekreuzten Händen der Leiche lag ein Ring.
Kurz vor seinem Tod hat mein Vater mich gefragt: „Was willst du werden, Junge?“ Da war ich vierzig, schon lange im Beruf und hatte selber einen Sohn. Auch die Stimme meiner Schwiegermutter höre ich heute wieder, obwohl sie ganz woanders liegt. Sie sagt, was sie immer sagte, wenn ich zu Besuch kam: „Hannes, trinks ‘nen Lütten mit?“ Mariacron …
So viele Lebensläufe auf dem Totenhof!
Ich würde gern den Stein etwas säubern. Aber es ist kein Lappen da, kein Handfegerchen. Kein Tännchen, hinter dem nützliches Gerät verborgen sein könnte. Also lege ich meinen Strauß mitten aufs Grün, mache meinen Diener und gehe.
Der Friedhofsgärtner
schließt das Gitter hinter mir.
Feierabend.
Ersteinstellung: 15.12.2007