Die Metapher in Bashôs Haiku

Jane Reichhold

 

Wie oft hat man Ihnen während Ihrer Beschäftigung mit dem Haiku gesagt: „Verwenden Sie niemals Metaphern oder Gleichnisse im Haiku“. Wie oft ist es Ihnen schon passiert, dass Sie ein ziemlich gutes Haiku geschrieben haben, Sie aber dann die Sorge einholte, dass das Haiku an einen Herausgeber gesendet, abgewiesen würde, weil eine „Art von Metapher“ enthalten sein könnte?

Weil Sie auch längere Gedichte geschrieben haben, wissen Sie, dass der Einsatz von Metaphern ein wesentlicher Aspekt, eine der bewährten Techniken der Dichtkunst ist. Unsere größten Dichter waren Meister im Auffinden und Gebrauch von Metaphern.

Zurück zum Haiku. Die Experten sagen, wir müssten dieses zuverlässige Werkzeug für unsere Poesie aus der Hand legen. Aber warten Sie damit einen Moment: Bashô ist Japans berühmtester Dichter. Hat er Metaphern verwendet?

Riskieren wir es, sein berühmtes Haiku:

auf einen kahlen Ast
lässt sich eine Krähe nieder
Herbstdämmerung (1)

folgendermaßen zu umschreiben:

Schwer lässt sich eine Krähe auf einen kahlen Ast nieder, genau so wie im Spätherbst die Dämmerung einfällt.

Der Leser wird mir zustimmen: Beide sind dunkel, und die Herbst-Dämmerung gleicht dem schweren Gefieder, das plötzlich auf das entlaubte Geäst niedergeht und dieses nun mit seiner Dunkelheit ausfüllt. Auch gilt die schwarze Krähe als Vorbote des Todes, der Zeit der Ruhe in der Natur und im Leben. Wenn Sie einmal ganz in der Nähe waren, wo eine Krähe sich niederließ, hatten Sie wahrscheinlich Furcht unter den sich faltenden Flügeln empfunden. Diese waren befremdlich schwarz, groß, bedrohlich und kalt – so wie es der Spätherbst ist.

Was fasziniert uns an diesem Haiku? Es ist das, was ich oben beschrieben habe und vieles mehr, sicher auch die Juxtaposition, die Nebeneinanderstellung zweier scheinbar unabhängiger Bilder – das eines kahlen Astes, das einer landenden Krähe, und die Herbstdämmerung. Für mich sind es folgende Elemente, die die Krähe zur Metapher für den Herbst-Abend machen:

Erstens, das Verb „niederlassen“, weil wir auch sagen: „die Dämmerung lässt sich nieder“ – und nicht „die Dämmerung landet“ oder „die Dämmerung hockt bzw. sitzt“. Diese Technik, die Bashô gelegentlich verwendet, prüft ein Verb auf seine Zweiseitigkeit, auf seine doppelte Einsatzmöglichkeit.
Zweitens, das Bild vom kahlen Geäst, das beides aufnehmen kann: das Eintreffen eines Vogels und das Kommen des Herbstdämmerns.

Etwas weiter hergeholt, aber deshalb tiefer und interessanter ist Bashôs Metapher bzw. Gleichnis in seinem Haiku:

alter Teich
ein Frosch springt hinein
das Geräusch des Wassers (2)

Zunächst nehmen wir das Japanische wörtlich und lesen also „das Wasser des Geräusches.“ Drehen wir das für ein paar Minuten im Geiste hin und her: Das Wasser des Geräusches. Klang als Wasser. Der Klang bewegt sich so, wie das Wasser. Das Geräusch kräuselt sich nach außen – genau wie sonst das Wasser sich bewegt, wenn die Stille des Wassers gestört wird.

Im Übrigen geben alle japanischen „Gedichtfrösche“ Laute von sich – sie quaken, singen oder rufen. Was, wenn das Wasser als Metapher für einen unsichtbaren Klang eingesetzt wurde? Anstatt einen Laut mit seiner Stimme von sich zu geben, könnte der Frosch auch in das Wassergeräusch gesprungen sein.

Wir können natürlich nicht wissen, ob Bashô in diese Richtung dachte, bevor er die  Zeilen aufschrieb oder aussprach: „ein Frosch springt hinein / des Klanges Wasser“, aber wir wissen, dass er sich über seine Inspirationsgabe bewusst war, dass er deshalb nicht einwilligte, als Kikaku, einer seiner Schüler, vorschlug, die erste Zeile mit „gelben Rosen“ zu ergänzen, sondern er blieb bei seiner Metapher von Wasser als Klang bzw. Klang als Wasser und begann mit „alter Teich“, um deutlich zu machen, dass Klang der älteste Teich ist.

Es könnte sein, so wird berichtet, dass Bashô einfach einen Frosch genau in dem Moment ins Wasser plumpsen hörte (eine eher wahrscheinliche Begebenheit, zumal er im Sumpfland lebte, wo zwei Flüsse zusammenflossen), als ihn ein Zen-Meister nach seinen Fortschritten beim Meditieren fragte. Dennoch begann Bashô sein Gedicht nicht mit der augenscheinlichen Wirklichkeit: Er ergänzte die erste Zeile weder mit „im Sumpfland“ noch mit „am Fluss“, sondern er entschied sich für „alter Teich“, weil in einem stillen Teich sich eine Störung wellenförmig wie ein Klang ausbreitet. Auch in diesem dritten Bild setzt Bashô das Wasser als Metapher für den Klang ein. Wie Wasser Klänge reflektiert, so wurde der Körper des Wassers manches Mal als Metapher für das Gehör verwendet.

Bashôs oft zitierter Ratschlag „Was eine Kiefer ist, lerne von der Kiefer.“ ist auch ein Schlüssel dafür, die Metaphern in seinem Werk zu verstehen. Als ich eines Sommertages am Hang im langen trockenen Gras saß, wurde mir klar, was Bashô meinte mit seinem Haiku:

Sommergras
die Träume
der Krieger (3)

An diesem Nachmittag blies der Wind über die Hänge. Das Gras wallte und bog sich fast schläfrig unter seinen schweren Köpfen. Der Schein der glatten Halme flammte auf und erlosch wieder, wie die Schemen von Geistern, die die Spitze des Berges erstürmen – vergleichbar den Wellen von angreifenden Kriegern, die brandend – flankierend – einem unsichtbaren Verlangen folgen. Sicherlich hat Bashô auch diesen Eindruck gehabt, als er das berühmte Schlachtfeld (4) besuchte. Und das Gras würde zusätzlich die Metapher von den Träumen der Krieger, ihrer Leidenschaft und ihrem Ehrgeiz unterstreichen, so wertlos zu sein, wie trockenes Gras, das so aussah als wenn Soldaten in ihrer spirituellen Haltung noch den Berg erstürmen.

Meine Schlussfolgerung: Die Metapher ist einer der nützlichen Bausteine des Haiku. Zu unterscheiden ist nur die Art und Weise wie Metaphern im Haiku eingesetzt werden.

Im Haiku gibt es zwei Bereiche von Metaphern bzw. Gleichnisse, die gewöhnlich nicht in Verbindung mit „wie, so wie“  oder „als wenn“ eingesetzt werden sollten (obwohl Bashô genau diese Redewendungen in verschiedenen Haiku benutzte). Die Bestandteile der Metapher sind aber mit einfachen Worten als eine anschauliche klare Redewendung, gewöhnlich in einer Nebeneinanderstellung zweier Bilder, die durch ein Verb oder ein drittes Bild miteinander verbunden sind, komponiert.

Der Spielraum im Zusammenhang mit der Benutzung von Metaphern wird hilfreich durch die Wirklichkeit beschränkt.

Gewaltige Sturmwellen krachen an den Strand und rufen den Eindruck hervor als wüteten Löwen am Ufer. Noch sieht man allerdings relativ selten Löwen in der Brandung. Wie auch immer, wenn man die weiße Meeresgischt in die Höhe spritzen sieht, bis dorthin, wo die Möwe fliegt, ergibt sich – schon eher einem Haiku ähnlich: „Weißes löst sich von den Wellen / eine Möwe.“

Ich behaupte nicht, dass Metaphern exklusiv in der konventionellen westlichen Literaturtradition eingesetzt werden. Teil des Vergnügens und der Popularität des Haiku ist aber das Lernen von Neuem und – für die Schreiber unseres Kulturkreises – die ungewohnten Wege der Darstellung von Metaphern, die aus unserer Eingebung kommen.

Abgesehen davon, dass in den meisten der „flachen“ Haiku einfache Beobachtungen in den versteckten Metaphern fehlen, bieten viele der Haiku, die uns beeinflussen, eine Metapher, an deren Idee man etwas länger kauen muss. Wir brauchen aber die Metapher um unsere poetische Sicht in die greifbare Wirklichkeit zu bringen.

Es ist Aufgabe des Dichters, diese Erde, dieses Leben wahrzunehmen und den Mitmenschen in einer Art und Weise darüber zu berichten , die es dann dem Leser oder Hörer erlaubt, Erkenntnis über sich selbst zu erlangen. Der Dichter ist der Journalist für die geistige Welt. Aber schon unser Vokabular für dieses trügerische Reich ist so vage und unbestimmt wie die Unternehmungen einer Durchschnittsperson darin sind. Um Gefühle, Sinneseindrücke, Visionen, zufällige Beobachtungen und Erfahrungen von Parallelwelten zu vermitteln, gilt es in Metaphern und Gleichnissen ganz konkrete Bilder zu verwenden.

Kürzlich habe ich William Eversons Idee von „Die Erde als Metapher“ gelesen. Everson betrachtet alle physischen Elemente unseres Universums als Substanzen, die für eine größere, tiefere und genauere Wahrheit stehen. Die Bach-Blüten-Therapie zum Beispiel ist eine praktische Anwendung dieses Ansatzes. Die destillierten Essenzen dieser Blüten, in kleinen Schlucken getrunken, wirken nicht wegen der medizinischen Eigenschaften der Pflanzen, sondern wegen der Ergriffenheit gegenüber einer anderen  Welt, die sie manifestieren.

Ich glaube, dass diese Art zu denken Bashô zu dem großen Dichter machte, der er war. Wenn Historiker sagen „das Haiku war degeneriert“ nach Bashôs Tod, vermute ich eher, dass dieser Niedergang darin begründet liegt, dass dem Haiku die Anerkennung versagt wurde, Ausdruck von Poesie und poetischer Vorstellung zu sein.

Abschließend muss ich gestehen, dass ich es am Interessantesten finde, wenn Japaner oder Nichtjapaner Haiku so schreiben, wie auch andere Dichter mit den Instrumenten der Poesie ein Bild zeichnen, und alle früheren poetischen Techniken auf diese neue Form übertragen – angeregt von den Visionen der Dichter vieler Kulturen.

 

Übersetzung von Gerd Börner mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

 

Quelle:
“Metaphor in Bashô’s Haiku” by Jane Reichhold
http://www.ahapoetry.com/haiku.htm#metaphor
Dort auch 1-3:
1) on a bare branch / a crow settles / autumn dusk
2) old pond / a frog jumps in / the sound of water
3) summer grass / the dreams / of warriors
4) Schlachtfeld Sekigahara

 

Ersteinstellung: 15.12.2006