Petersilienbeet

Buchbesprechung von Ruth Franke

 

Ken Jones, einer der besten Haibun-Autoren und Mitherausgeber der jährlich erscheinenden Anthologie Contemporary Haibun, hat ein neues Buch herausgebracht. Es enthält 34 Haibun, in fünf Themenkreise unterteilt, die sich teilweise überschneiden; auch die dazwischen eingestreuten Haiku folgen der gleichen Einteilung. Der Bogen ist weit gespannt: schon im ersten Kapitel, Life and Times, finden sich Themen von der Kindheit bis zum Tod. Hier erinnert sich der Autor an seine verlorene Kindheit und die gemeinsamen Stunden mit dem Vater, er schildert aber auch (mit Galgenhumor) Alterserfahrungen einer lebensbedrohenden Krankheit und eine schwierige Bergbesteigung an seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag.

In People and Places beeindruckt eine Studie über Pfähle, welche – jetzt von ihrer ursprünglichen Verwendung befreit – ganz „sie selbst“ sind und einen eigenen Charakter entwickelt haben. In der menschenleeren Moorlandschaft sind sie Blickpunkt für den einsamen Wanderer und „alles was man braucht“. Vor allem aber skizziert er originelle Charaktere seiner Heimat und ihre Eigenheiten mit Ironie, trockenem Humor und Sympathie, wie eine Frau, die ein ganzes Wäldchen „massakriert“, um aus Ästen und Zweigen Figuren zum Leben zu erwecken:

Hornbeam god
his weathered erection
held by a rusty nail

Hainbuchen-Gott
seine verwitterte Erektion
vom rostigen Nagel gehalten

In Grandeur, Folly and Fun zeigt Ken Jones die Sinnlosigkeit des Krieges, indem er alte Kriegsschauplätze besucht, in seiner Heimat Wales und in Frankreich (Sedan, Verdun). Gegenwart und Vergangenheit gehen dabei ineinander über, Realität wird zum Traum im melancholischen Gedenken an ‚heroische‘ Zeiten, in denen Hunderttausende ihr Leben lassen mussten – „MORT POUR LA PATRIE“.

Noch mehr verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion in dem besonders interessanten Kapitel Dreams, Memory and Imagery. „Nichts ist ganz so, wie es zu sein scheint“, sagt der Autor im Vorwort, und manche Haibun muss man mehrfach lesen, um zu erkennen, wo die „magische Tür“ sich öffnet. Auf seinen Streifzügen durchs Moor und an der Küste lässt er alte Mythen lebendig werden und spürt seinem eigenem Leben nach. So wandert er als einsamer Pilger durchs wilde Hochland von Wales, von Bekanntem zu Unbekanntem. Die Szenerie wandelt sich im Gespräch mit seinem „Doppelgänger“ ständig, wechselt in Zeit, Raum und in frühere Leben. Wenn auch die Realität zu Traum und Mythos wird, so hat das Haibun doch immer einen Wahrheitsgehalt und ist in eigener Erfahrung begründet.

Das Titel-Haibun beginnt mit einem Schlüssel-Haiku von Buson, das man als Motto des Buches bezeichnen kann:

This is all there is:
the path dies out
at the parsley bed

Mehr ist da nicht:
der Pfad endet
am Petersilienbeet

In knappen, doch bewegenden Sätzen, in Ich-Form erzählt, lässt ein zum Tode Verurteilter in der Nacht vor seiner Exekution sein Leben an sich vorbeiziehen. Die Geschichte, obwohl erdacht, enthält deutliche Hinweise auf eigene Erlebnisse und Erfahrungen des Autors. Ken Jones versteht die erste Zeile des Buson-Gedichtes als koan, das er dem Leser aufgibt und für das jeder eine eigene Interpretation finden mag. Das Haiku deutet das Grundthema dieses Buches an: Leben und Tod und der Alltag (Petersilienbeet) mit Freud und Leid.

Dass Ken Jones seit Jahrzehnten Zen praktiziert und lehrt, kommt am deutlichsten im letzten Kapitel The Grave and Constant zum Ausdruck, hier findet man auch die tiefsten Einblicke in des Autors Innenleben.

Dem Haibun Trekking Poles ist ein Buddha-Zitat vorangestellt: „Ein Traum, ein Blitzstrahl oder eine Wolke / So sollen wir das Leben sehen.“ Einprägsame Naturschilderungen von einsamen Lieblingsplätzen in der Moorlandschaft, die den Rahmen zum Grübeln über Lebensrätsel bildet, wechseln ab mit intensiver Auseinandersetzung mit dem Sterben.

Die einzelnen Haiku haben eine bildhafte, klare Sprache, manchmal mit ironischer oder humorvoller Anspielung:

„Long May They Reign“
in the coronation mug
false teeth

„Lang mögen sie herrschen“
im Krönungsbecher
falsche Zähne

Die Bilder von Meer und Moor vermitteln Eindrücke einer scheinbar eintönigen Landschaft von eigenem Reiz, die oft Metaphern menschlicher Existenz sind und das Naturbild mit der persönlichen Situation vergleichen:

Icesparkles in the ruts
beneath a sicklemoon
the wild moor dreams

Eisglitzern in den Furchen
unter einem Sichelmond
träumt das wilde Moor

Under a mackerel sky
the running tide
of my ebbing life

Unter einem Makrelen-Himmel
der fließende Strom
meines verebbenden Lebens

Seine Verknüpfung von Haiku und Prosa ist ungewöhnlich. Mitunter sind den Haibun Zitate vorangestellt und/oder Haiku (eigene oder von japanischen Klassikern). Die zahlreichen Haiku im Text sind oft eine Fortsetzung der Prosa, beide erscheinen manchmal austauschbar. Ken Jones, der sich viel mit Haibun-Theorie befasst (er schreibt für Contemporary Haibun online die Kolumne Ken’s Corner), bezeichnet seine Haibun als ‚Haiku-Prosa-Gedichte‘. Meistens aber haben die Haiku einen synergetischen Effekt, verstärken die Prosa mit einem Bild, das den vorausgehenden Text aus anderer Sicht erhellt, oder führen zu einem überraschenden Ende. Der Stil ist knapp, doch anschaulich und lebendig. Der Leser ist gleich mittendrin im Geschehen, wenn ein Haibun so beginnt: „Kommt mit mir durch die Binsen, den verborgenen Pfad entlang zum Ende der Welt …“ („All Change!“)

Ein besonderes, sehr persönliches Buch, das Alterswerk eines Menschen, der mit Humor, Wehmut und Weisheit Rückblick auf sein Leben hält und dessen Ausblick illusionslos und unsentimental ist. Trotz Ausflügen und Reisen in die Welt ist der Autor tief verwurzelt in seiner Heimat Wales und ihrem kulturellen Erbe. Seine Liebe gilt der Einsamkeit des Hochlandes mit seinen Mooren, weglos und „nirgendwohin“ führend – eine Landschaft, die prägt und in deren gleichförmiger Endlosigkeit kaum ein Baum, geschweige denn ein Mensch, auszumachen ist.

Day after day
the open gate
the empty moor

Tag für Tag
das offeneTor
das leere Moor

Obwohl viele Haibun und Haiku in dieser kargen, abgeschiedenen Welt spielen, ist das Buch eine fesselnde, bewegende Lektüre, die man immer wieder zur Hand nimmt. Wer sich damit auseinandersetzt, wird Eindrücke und Erkenntnisse gewinnen, die haften bleiben, und kann nebenbei einiges hinzulernen über die Kunst des Haibun.

Ken Jones: The Parsley Bed, Pilgrim Press 2006. Zu beziehen für € 10,00 in Noten (mit Porto) bei: Troedrhiwsebon, Cwmrheidol, Aberystwyth, Wales, SY23 3NB, U.K.

 

Ersteinstellung: 15.12.2006