Dietmar Tauchner
Als ich zum ersten Mal Berlin besuchte, gab es noch Ost und West. Genau erinnere ich mich, wie ich als sechzehnjähriger Schüler mit der Bahn reisend unsicher war, wo ich denn aussteigen sollte. Bahnhof Zoo oder Friedrichstaße?
Ich fragte eine ältere Frau, die aufgeregt mit Berliner Herz und Schnauze antwortete: „Bloß nich Friedrichstraße, Junge, dit is der Osten!“
Viele Jahre später, im Juni 2005, gehe ich durch die vereinte Stadt: gehe „die Linden“ entlang, überquere den Bebelplatz, damals Opernplatz.
kurzer Schauer
am Ort
der brennenden Bücher
Ich betrete den Raum der Stille, durchschreite das Brandenburger Tor, gehe den früheren Verlauf der Mauer entlang, besichtige das Stelenfeld. Irgendwann erreiche ich den Palast der Republik.
Der ehemalige Sitz der DDR-Volkskammer, gleichzeitig das größte Kulturhaus, eine architektonische Auffälligkeit, ob seiner futuristischen siebziger Jahre Ästhetik mit breiten, bronzegetönten Glasflächen und einer tragenden Stahlkonstruktion, diente nach dem Fall der Mauer bis vor kurzem als Raum für Ausstellungen beziehungsweise als Theaterbühne. Keiner wusste, wie lange, zumal es starke Stimmen dafür gab, den Palast, auch „Ballast der Republik“ genannt, abzureißen und ebenso starke, ihn als historisch relevantes Gebäude zu erhalten und weiterhin für künstlerische Veranstaltungen zu nutzen.
Ich verspüre Lust, das „Palazzo Prozzo“ zu betreten. Ich nähere mich. Der Eingang ist offen. Der Weg scheint frei, in das Innerste der „Macht“.
Plötzlich kommt ein Mann auf mich zu und fragt mit ausgesuchter Höflichkeit, was ich denn wolle. Ich erläutere mein Begehr. Wiederum ungewöhnlich jovial antwortet er, dass das unmöglich sei. „Ich bin nur der äußerste Wächter, aber drinnen gibt es noch andere, die keineswegs auch nur annähernd so milde und wohlwollend sind, wie ich es bin. Also bitte, gehen Sie nicht weiter!“
Er erklärt, dass gerade eine Theaterinszenierung vorbereitet werde, und wenn ich wolle, könne er mir als Entschädigung für die entgangenen Einblicke eine Pressemappe schenken.
Ich willige ein und gehe wieder weiter.
In den Fenstern
am Schlossplatz
die Abendsonne
Ersteinstellung: 15.12.2006