Spiegelungen

Hubertus Thum – Volker Friebel

 

Spiegelungen, von Malern und Fotografen geschätzt, öffnen die Tür zu einer anderen Wirklichkeit und schwindelerregenden Erfahrungen. „Du siehst den Mond in einem Tümpel gespiegelt, und schon löst die Erde sich unter deinen Füßen auf“, schrieb der amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau, der zwei Jahre lang allein in einer Hütte am Walden-See bei Concord (Massachusetts) lebte, 1851 in sein Tagebuch. „Der zauberhafte Mond mit einem Gefolge von Sternen schaut plötzlich mit mildem Glanz aus einem Fenster in der dunklen Erde … Diese Spiegelungen deuten an, daß der Himmel sich ebenso unter wie über dem Hügel befindet, und zwar in einem über die bloße Erscheinung hinausweisenden Sinn.“

 

Das gelbe Blatt
in der Pfütze
treibt durch die Baumkrone.

Windstille.
Vom Ruderblatt tropft
der Abendhimmel.

Die Frau schöpft den Kahn aus,
der Mann stakt weiter,
durch Spiegelbilder.

Strandpromenade.
Im Bauchnabel glimmt
die Abendsonne.

Der Winterhimmel.
All die Weite gespiegelt
um ein paar Enten.

Hausputz am Abend.
Behutsam staube ich
das Mondlicht ab.

Die Jacke am Haken
neben dem Zugfenster,
wo dieses Schwarz hereinstarrt.

Das Haus der Kindheit.
Mein Hauch
am kalten Spiegel.

Das eigene Gesicht
im Busfenster
gegen die Winternacht.

Nächtlicher See.
Ich springe splitternackt
in die Sterne.

 

Kursivschrift Volker Friebel – Normalschrift Hubertus Thum.

 

Ersteinstellung: 31.03.2004