und Haiku-Besprechung
von René Possél
Der kleine Panda
Ganz knapp vor dem Jaguar
In der Parkbucht
Hartmut Fillhardt
zu wenig
der letzte Pinselstrich
zu viel
Christof Blumentrath
der LKW
der ihm sein Leben
abbog
Martin Berner
Hochzeitstag
Sie küsst ihr Lächeln
Auf sein Gesicht
Anke Holtz
ein Schrank voller Kleider
keines passt
zu ihrer Stimmung
Stefanie Bucifal
Fotoshooting
der Graureiher steigt
in die nächste Pose
Christof Blumentrath
freier Tag
teile den Himmel
mit einer Schwalbe
Anke Holtz
Heimweh
der Strudel im Abfluss
verkehrt
Stefanie Bucifal
Tattoo-Kunst
der Sohn in seinen Armen
auf Rosen gebettet
Claudia v. Spies
unterm Blätterdach
der Regen
findet die richtigen Worte
Anke Holtz
Im Mai 2018 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 222 Haiku von 44 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge. Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
zu wenig
der letzte Pinselstrich
zu viel
Christof Blumentrath
Mir kommt vor: Dies könnten die Gedanken eines Malers sein, der ein Kunstwerk, sein Gemälde abschließt. Mit dem letzten Pinselstrich kommen da noch einmal die Zweifel und Unsicherheiten hoch: bohrendes Ungenügen; und das Gefühl des Künstlers, sein Ziel einer bestimmten künstlerischen Botschaft nicht ganz erreicht zu haben.
Dazu passt der gekonnte Aufbau des Haiku: „der letzte Pinselstrich“ – die Mittelzeile ist das Scharnier zwischen den gegensätzlichen und widersprüchlichen Bewertungen des eigenen Kunstwerks. Das „zu wenig“ der ersten Zeile drückt das Gefühl aus, hinter dem, was man künstlerisch ausdrücken wollte, zurückgeblieben zu sein.
Das „zu viel“ der letzten Zeile sagt das Gegenteil: Ein vollkommenes Bild weckt das Gefühl, hier sei alles richtig an seinem Platz und müsste genau so und nicht anders sein. Erich Kästner verwendet für seine Lyrik den prosaischen Ausdruck „wie hingespuckt“! Und dies „zu viel“ ist ein Eingeständnis des Scheiterns am Maß der Vollkommenheit …
Das Haiku kann mit seinen „nur“ elf Silben doch überzeugend vermitteln, was ein Maler zuletzt an Ambivalenz gegenüber seinem Kunstwerk empfindet. Um bei meiner Wertschätzung des Haiku in dessen eigenem Sprachspiel zu bleiben: Hier ist nichts „zu wenig“ oder „zu viel“!