und Haiku-Besprechung
von René Possél
vor dem Tauchen
zwei Freunde
die schweigen
Bernadette Duncan
am Sterbebett
ihr Strickzeug
entwirren
Barbara Hagemann
Die Schatten schon
in die Felder geschmiegt –
Ende des Sommers.
Beate Conrad
Hagebutten
Opa erklärt das Rezept
für Juckpulver
Friedrich Winzer
kurvige landstraße
die bremsspuren enden
an einem holzkreuz
Tobias Tiefensee
Ssssommernacht –
am Kinderbett das Schlaflied
einer Mücke
Angelica Seithe
Parkplatz
ich lese einen fremden
Einkaufszettel
Friedrich Winzer
Unwetter
Zwei Sangria lang
geht die Welt unter
Hans-Jürgen Göhrung
Sonnenaufgang,
eine Pappel applaudiert,
Müdigkeit.
Leon
Stille umgibt
Die Wespe
Auf meiner Hand
Iris Ziesemer
Im September 2019 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 314 Haiku von 70 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
vor dem Tauchen
zwei Freunde
die schweigen
Bernadette Duncan
Beeindruckend finde ich, dass dieses Haiku seine Pointe aus einer akustisch-menschlichen Beobachtung bezieht. Der hier beschriebene Augenblick, das „Setting“, ist der Moment vor dem gemeinsamen Tauchen zweier Freunde.
(Von einer strengen Observanz des Haiku her könnte man natürlich einwenden, dass man „Freundschaft“ nicht sieht. Von daher vielleicht ein grenzwertiges Haiku?!)
Das (Sport-) Tauchen hat seine eigenen Gesetze und Risiken. Ich bin kein Taucher, aber mir ist wie jedem nachvollziehbar: Wer taucht, muss vorher alles genau prüfen und sich dabei unbedingt konzentrieren. Unter Umständen hängt davon das eigene Leben und das des beteiligten Sportkameraden ab. Unter Wasser müssen die Taucher sich aufeinander verlassen und wortlos miteinander kommunizieren können.
Wenn zwei befreundete Taucher sich auf einen Tauchgang vorbereiten, vermischen sich zwei unterschiedliche Rollen. Es ist einerseits das Schweigen von Freunden, die sich aus erprobter Nähe und Erfahrung „stillschweigend“ verstehen – und es ist das Schweigen von Tauch-Kameraden, die sich aus reiner Notwendigkeit „stillschweigend“ verstehen müssen.
Man kann sagen: Das Schweigen „spricht doppelt“ – es wird multivalent. Und das macht für mich den Reiz des Haiku aus.