und Haiku-Besprechung
von René Possél
der alte Borsalino …
ich borge mir
Vaters Traum
Eva Limbach
Ehestreit
das Kind zeigt den Eltern
den Regenbogen
Kaiser Kahn
Enzyklopädie
zwischen Goldschnitt
vierblättriger Klee
Helga Schulz Blank
Herbst
Blättercollagen
auf dem Asphalt
Ingrid Löbling
bis ich dich
nicht mehr sehe …
Schnee
Adrian Bouter
Plätzchen backen
jetzt summe ich
Omas Lieder
Eleonore Nickolay
siehe ich verkündige
der Bühnenengel
verliert den Faden
Martin Berner
vor der Sparkasse
wirft der alte Gingko
sein Gold ab
Helga Schulz Blank
wintergestirne des novizen offener blick
Helga Stania
zwischen den Jahren
sie zählt
ihre Lachfältchen
Eleonore Nickolay
Im Dezember 2019 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 285 Haiku von 64 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
der alte Borsalino …
ich borge mir
Vaters Traum
Eva Limbach
Dass ein Markenname wie „Borsalino“ für einen bekannten Hut derart viele Assoziationen und Bilder, ja, Träume hervorrufen kann! Von diesem Phänomen lebt das ungewöhnliche Haiku.
„Borsalino“ ist der Name und die Marke eines italienischen Herstellers von Herrenhüten – Giuseppe Borsalino aus Piemont. Bekannt wurde der Hut dadurch, dass ihn Politiker und Mafia-Bosse, vor allem aber berühmte Schauspieler und Sänger ab Mitte des 20. Jahrhunderts trugen: Winston Churchill und Al Capone, Humphrey Bogart und Marlon Brando, Michael Jackson und viele andere …
In diesem Haiku geht es um „den alten Borsalino des Vaters“. Darin schwingen das Leben und die Persönlichkeit des Vaters mit (verstorbenen/lebend?), für den dieser Hut „ein Traum“ war/ist. Die zweite Zeile des Haiku beginnt ganz harmlos: „ich borge mir“. Das evoziert das Bild des Sohnes, der den Hut des Vaters einfach mal ausprobieren möchte. Erst mit der dritten und letzten Zeile öffnet sich (haiku-like) Raum für das Ungesagte bzw. Un-sagbare:
Es ist die Vermutung, dass der Vater mit dem Hut bestimmte Träume und Sehnsüchte verband/verbindet. Das bringt ihn dem Sohn näher. Welche Träume das sind, wird nicht gesagt – es bleibt einfach offen. Im „Borgen des Borsalino“ (hübsche Alliteration!) kommt zugleich die Würdigung des Vaters wie auch die „Nähe ihrer Träume“ d.h. die Verbindung im Unbewussten von Vater und Sohn zum Ausdruck.
Ist das Haiku nicht auch eine Hommage an diese altmodischen traumhaften Hüte und ihre Träger?!