Top-Extra Februar 2020

und Haiku-Besprechung
von René Possél

 

zwei getrocknete rosen
das gewicht
meiner sommerträume

Michaela Kiock

 

Begegnung
ihr Lächeln
wird meines

Marianne Kunz

 

im Schneefeld
mein blauer Schatten
neben dir

Angelica Seithe

 

Grabstein
sein Lächeln eingraviert
in mein Gedächtnis

Eleonore Nickolay

 

Große Hitze.
In der Bergkapelle
kühlt die Stille.

Regina Seelig

 

Ohne sein Blätterkleid
Zeigt der alte Nussbaum
Seine Narben

Birgit Waldhoff-Blum

 

schrebergarten
vom gartenzwerg prökelt
das lachen

Tobias Tiefensee

 

Facebook
und mit wem
die Abendkühle teilen

Martin Berner

 

streuobstwiese
das torkeln
der schafe

Tobias Tiefensee

 

FKK
auf dem Bürgersteig –
Schaufensterpuppen

Gérard Krebs

 

Im Januar 2020 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 305 Haiku von 65 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.

Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.

 

zwei getrocknete rosen
das gewicht
meiner sommerträume

Michaela Kiock

 

Ein poetisches Haiku!

Es beginnt mit Rosen, dem blumigen Symbol der Liebe, genauer mit „zwei getrockneten rosen“. Die Zahl „zwei“ erinnert an die Zweiheit von Liebenden, die getrockneten, aufbewahrten Rosen daran, dass die Liebe schon länger her ist oder vergangen und die Rosen nur noch Erinnerung. Der Ausdruck „das gewicht“ in Zeile 2 baut Spannung auf. Was mag das Gewicht getrockneter Rosen wohl bedeuten?!

Die 3. Zeile bringt mit den Worten „meiner sommer-träume“ die poetische Auflösung der Spannung aus der zweiten Zeile bzw. die Antwort auf die Gewicht-Frage:

Die gefühlte (Ge-) Wichtigkeit der aufbewahrten Rosen ist umgekehrt proportional zu ihrem tatsächlichen Gewicht. Denn es hängen daran die Träume (m-)eines Sommers, die mit der Erinnerung durch die Rosen verbunden sind.

Das Haiku beschreibt Wirklichkeit – allerdings die Wirklichkeit dessen, was mit der Liebe zu tun hat. Sie ist eine andere als die reale messbare Wirklichkeit.

Und sie kann offenbar nur mit den Mitteln der Poesie ansatzweise beschrieben werden. Ein schönes, poetisches, lang nachhallendes Haiku, finde ich.