und Haiku-Besprechung
von René Possél
Wind –
es branden
die Birkenzweige
Iwa Antonow
Ausgangssperre
der Versuch mit Tusche
Stille zu malen
Christa Beau
Trennung
das ganze Haus
voller Leere
Friedrich Winzer
ein Buch
vom Flohmarkt
der Liebesbrief gratis
Pitt Büerken
Frühlingstag
ein Vogellied trägt
die Einsamkeit davon
Gabi Buschmann
erschrocken
vor einem gesicht
ohne maske
Martin Speier
neue kollegin
seine frau erinnert ihn
an das kontaktverbot
Tobias Tiefensee
Das Blau der Veilchen
Mit den Augen
hamstern
Deborah Karl-Brandt
Ostern 2020
aus Nachbars Fenster
Urbi et orbi
Eleonore Nickolay
Wetterwechsel.
Die Schulter singt
ihr Lied.
Iwa Antonow
Im April 2020 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 357 Haiku von 73 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
Wind –
es branden
die Birkenzweige
Iwa Antonow
Ich habe einen Hang zur Kürze – die Haiku haben ihn sowieso, dies besonders. Es besteht aus fünf Worten, die auf den drei Zeilen von Silbenzahl bzw. Länge her zunehmen. (Darf man ein Haiku auch von seiner graphischen Form her ansprechend und apart finden?!
Es ist ein Haiku, das von einem akustischen Phänomen ausgeht. Mit den beiden ersten Zeilen evoziert es den Wind. Und was Anderes könnte das Geräusch sein, als dass Wellen an den Strand branden – das bekannte Meeresrauschen … In der dritten Zeile wird diese Erwartung enttäuscht und überraschend umgelenkt vom Meer auf die Birkenzweige.
Die Aufforderung an den Hörer/Leser ist dabei, das Verb „branden“ von der naheliegenden Meeres-Brandung zu lösen und es auf das Geräusch zu beziehen, dass der Wind in den Birkenzweigen erzeugt.
Damit sind sowohl das Meer und sein Rauschen als quasi „musikalisches Vorbild“ als auch der Wind und die Birkenzweige als Metapher einer neuen, originellen Brandung präsent. Das alles mit fünf Worten in drei Zeilen. Der Autor/die Autorin des übersichtlichen Haiku, das mir gefällt, hat womöglich auch einen Hang zur Kürze …