und Haiku-Besprechung
von René Possél
Osterschmuck
mein Haus
so leer wie das Ei
Eleonore Nickolay
die Kassiererin
auf dem Heimweg: das Lächeln
noch nicht abgesetzt
Sylvia Hartmann
Einkaufsbummel
Sonnenglanz auf den Münzen
des Bettlers
Anke Holtz
flügelschlag
das geräusch
einer guten idee
Tobias Krissel
todernst
meißelt der Bildhauer
ein Lächeln
Friedrich Winzer
wortgefecht
die waschmaschine
überlegt kurz
Bernadette Duncan
Omas Kännchen –
im Sprung
ihr helles Lachen
Petra Fischer
der klang
des wassertropfens
auf dem eis …
Ruth Guggenmos-Walter
Sperrstunde ein Mond gesellt sich ans Fenster
Beate Conrad
ganz leise
von blatt zu blatt
frühlingsregen
Michaela Kiock
Im April 2021 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 380 Haiku von 73 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
Osterschmuck
mein Haus
so leer wie das Ei
Eleonore Nickolay
Beim Haiku werden Gedanken und Erwartungen durch die ersten Worte, die wir hören oder lesen, in eine bestimmte Richtung gelenkt. Und dann stößt die dritte Zeile uns manchmal in etwas Neues, Unerwartetes hinein.
So führen die beiden ersten Zeilen des Haiku auf einen Verständnispfad, der zunächst bekannt scheint. Osterschmuck, z.B. blühende Zweige mit ausgeblasenen Eiern daran, sollen „mein Haus“ jahreszeitlich dekorieren und entsprechende Stimmung erzeugen. Soweit die ersten drei Worte in den ersten beiden Zeilen des Haiku und unsere ersten Vorstellungen. Es sind positive, anheimelnde Gefühle, die solche Bilder hervorrufen …
Die dritte Zeile bricht diese Konnotationen auf bestürzende Weise ab. Was zunächst stimmungsvoll und gemütlich klingt, kippt auf einmal in das Gegenteil. Da wird die Leere des ausgeblasenen Eis evoziert – und auf das geschmückte Haus bezogen. Die bittere Offenbarung: Das geschmückte Haus ist in Wirklichkeit leer – der stimmungsvolle Osterschmuck ist eigentlich für niemanden (mehr) da. Offen bleibt, ob das Haus im Lauf des Lebens leer wurde oder durch einen Bruch …
Auf solch haiku-eske Weise mit einer harten Wirklichkeit überrascht und konfrontiert zu werden, verstärkt den Eindruck der tristen Leere – des Hauses, des eignen Lebens?! Kein „lustiger Vers“, dennoch ein Haiku.