Top-Extra Dezember 2021

und Haiku-Besprechung
von René Possél

 

Quarantäne –
sie befreundet sich
mit einer Hummel

Angelica Seithe

 

herbstmond
in meinem mantel
der duft von pilzen

Michaela Kiock

 

verstauber Post-it
was mir einmal
wichtig war

Stefanie Bucifal

 

Der alte Kirschbaum
nun flechtengrau
wie sie.

Christiane Freimann

 

Friedwald
ein Sonnenstrahl trifft mich
unvorbereitet

Stefanie Bucifal

 

Fußballfeld
die schwarz-weißen Trikots
der Elstern

Eleonore Nickolay

 

zugefrorener Fluss
was gäbe ich für
deine Gedanken

Adrian Bouter

 

Morgenanbruch
auf ein Wort
mit den Wolken

Hubertus Thum

 

St. Martin
Das Schnattern und Lachen
der Lehrerinnen

Deborah Karl-Brandt

 

TO DO
Sie setzt Freude
auf die Liste

Deborah Karl-Brandt

 

Im November 2021 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 373 Haiku von 76 Autoren ein. René Possél bekam die Liste der Haiku alphabetisch geordnet ohne Autorennamen vorgelegt und wählte aus ihr 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.

Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.

 

Quarantäne –
sie befreundet sich
mit einer Hummel

Angelica Seithe

Immer noch (oder schon wieder!) sind die Auswirkungen der Pandemie Thema für Nachdenken und Gespräche; auch für Haiku – wie in diesem schönen Falle. Das Wort „Quarantäne“ versteht in dem Zusammenhang mittlerweile jeder: „Eine zeitlich begrenzte Absonderung von Personen, bei denen der Verdacht auf eine Infektion mit dem Corona-Virus besteht“.

Praktisch kann das bedeuten, dass jemand in seinen vier Wänden eingeschlossen ist. Begegnungen mit anderen (sagen wir Lebewesen) sind in dieser Situation eingeschränkt, zufällig und wie hier: neuartig.

Man darf nach dem Wortlaut der zweiten Zeile nun alles Mögliche erwarten. Vom Ausdruck „sie befreundet sich“ würde man am ehesten auf Menschen tippen, mit denen man sonst nichts zu tun hat. Die Befreundung wird aber zu einer ungewöhnlichen Qualifizierung des Verhältnisses „mit einer Hummel“.

Wo und wann im Leben käme man sonst auf den Gedanken, sich mit diesen gedrungenen pelzigen Bienen (wissenschaftlicher Name: Bombus) näher einzulassen, wenn nicht durch „die Absonderung“ in einer Pandemie?! Durch nähere Beschäftigung kann die übliche Gleichgültigkeit (oder höchstens der Respekt) sich offenbar in größeres Interesse, ja, Freundschaft wandeln – loneliness makes strange bedfellows.

Hummel-Freundschaft – es besteht keine Gefahr der Infektion.

 

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