Top-Extra März 2025

und Haiku-Besprechung
von René Possél

 

krankenbett
unsere hände
schweigen

Alexander Groth

 

nach dem Sturm
verwüsteter Zen-Garten
der Buddha lächelt

Friedrich Winzer

 

Sommergewitter
der Bach macht sich
auf den Weg

Gabriele Hartmann

 

auf ihrer schulter
sein name
überstochen

Alexander Groth

 

dein name
am klingelschild
überklebt

Alexander Groth

 

Friedhofswiese
die schwarzen Hügel
der Maulwürfe

Wolfgang Hölz

 

gartenarbeit
sie summt
mit den bienen

Alexander Groth

 

im Kreuzgang
versöhne mich
mit seinem Schweigen

Ramona Linke

 

wenn die Kirsche wieder blüht – was wird dann sein

Angela Schmitt

 

Im Februar 2025 gingen für die Monatsauswahl Haiku 447 Kurzgedichte von 71 Autoren ein. René Possél bekam die Liste der Haiku alphabetisch geordnet ohne Autorennamen vorgelegt und wählte aus ihr zehn Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm ausgewählten Reihenfolge.

Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.

 

krankenbett
unsere hände
schweigen

Alexander Groth

 

Ein schlichtes, offenes, dennoch komplexes Haiku. Die Ausgangssituation wird in der ersten Zeile klar benannt: Jemand befindet sich am Bett eines Kranken.

Ein Besuch bei einem bettlägerigen Kranken hat bestimmte Möglichkeiten der Kommunikation: Man kann miteinander sprechen, erzählen, fragen, wie es geht, sich austauschen … Über die verbale Kommunikation hinaus kann man sich, je nach Schwere der Erkrankung und Nähe zur Person, auch non-verbal, d.h. mit dem Körper ausdrücken. Kuß und Umarmung sind sehr persönlich – und wenn, dann meist nur angedeutet, flüchtig.

Daher kommt den Ausdrucksmöglichkeiten der Hände größere Bedeutung zu. Einander die Hand geben, die Hand des/der Kranken halten oder dem/der anderen die Hand auf den Körper legen kann unter Umständen viel aussagen oder bedeuten …

Das Ungewöhnliche des Haiku ist, dass genau diese körperliche Kommunikation durch die Hände vom Autor/-in mit einem Wort in der letzten Zeile ausdrücklich verneint wird. Die Metapher „unsere Hände schweigen“ bedeutet: das Schweigen ist offenbar gewollt und beidseitig. Das „Schweigen der Hände“ weckt Fragen:

Ist es ein konflikthaftes Schweigen, bei dem man sich nichts mehr zu sagen hat?

Ist es ein vorübergehendes „Schweigen der Hände“, das auch wieder gebrochen werden kann?

Ist es ein einseitiges Verstummen (gewesen) oder ein beidseitiges?

Was ist der Grund für das „Schweigen der Hände“? Ist auch das verbale Sprechen vorher verstummt?

Nicht jedes Schweigen (auch der Hände) muss etwas Negatives bedeuten.

Kann man sich dieses Schweigen als gemeinsames, positives vorstellen?

Das Haiku lässt zwar Interpretationen in alle Richtungen Raum. Mir scheint die Betonung des Schweigens der Hände hier aber eher auf einen Konflikt oder eine Kommunikationsstörung hinzudeuten als auf stummes Verstehen. Letzteres hätte man ausdrücken können z.B. durch „unsere Hände / sind still geworden“. Es bleibt die schlichte, doch komplexe Wahrheit: Konflikt und verbales wie non-verbales Verstummen gibt es auch am Bett eines kranken Menschen.

 

Zur Monatsausgabe März 2025