An einem langen Seil

Angelika Wienert

 

Man ist besorgt. Bisher wollte nie ein Gast dort hin. Sicherheitshalber ein Blick auf die Karte. Die Falten zwischen den Augen des Türstehers vertiefen sich, sein Finger zeigt auf einen Punkt im Nordosten Kyôtos. Dann bekommt unser Begleiter ausführliche Instruktionen.

Wir fahren eine Hauptverkehrsstraße entlang. Am Rand gestutzte Bäume, es wäre zu gefährlich, sie zu groß werden zu lassen. Die Taifune kommen gewiss. Als wir abbiegen, geht es bergan durch Nebenstraßen und schmale Gassen. Vor den kleinen Häusern Blumen in Kästen, Kübeln und Töpfen. Jedes Fleckchen wird genutzt. Zur Rechten werden gerade die Pflanzen gegossen, dabei ein Schwatz mit der Nachbarin.

„Konpukuji!“ Die Geste ist eindeutig, da hinten liegt unser Ziel. Ab jetzt sind wir auf uns gestellt und gehen zu Fuß weiter. Kindergartenkinder mit Stoffmützen kommen uns entgegen, halten sich an einem langen Seil fest. Manche Kinder kichern, die kleine Seilschaft kommt ins Stocken. Solche unvernünftigen Langnasen, wie wir es sind, sieht man in dieser Gegend wohl selten. Ohne Sonnenschirm die Frau, ohne Kopfbedeckung die Männer, und das bei diesem Wetter. Wir lächeln, verbeugen uns, die Erzieherinnen ebenfalls, dann alle Teile der bunten Raupe.

Angekommen! Konpukuji – ein kleiner Zen-Tempel mit langer Tradition. Eine Bashô-Hütte gibt es auf dem Gelände, sie ist immer wieder rekonstruiert worden. Doch war der große Meister überhaupt jemals hier? Niemand weiß es genau. Ein anderer schrieb über diesen Ort. Er hörte die Hunde hinter dem Zaun bellen, kaufte Tofu in der Nähe. Etwas höher gelegen als Bashô-an ein Wäldchen.

Später Frühling –
ich berühre den Stein
auf Busons Grab

Im Vorraum der Tempelhalle mit einem Mönch ein Gespräch fast ohne Worte. „Buson. Haiku.“ Ich zeige auf mein Herz. Der Mann geht zu einem Regal, kramt und bringt einen Kunstdruck, das Porträt Bashôs, gemalt von Buson. Sorgsam wickelt er es in hellblaues Papier. „A pre-sent.“

 

Ersteinstellung: 15.09.2007