Yasuomi Koganei im Gespräch mit Dietmar Tauchner

Dietmar Tauchner: Könnten Sie bitte definieren, was ein Haiku ist?

Yasuomi Koganei: Ein Kurzgedicht, das ein Schlüsselwort enthält und eine emotionale Regung beim Leser hervorruft.

Dietmar Tauchner: Welche Techniken sind für das Haiku notwendig? Braucht ein Haiku eine fixe Form?

Yasuomi Koganei: Gewisse Techniken braucht es, um einen weiten Raum zwischen den Zeilen zu schaffen. Ich glaube, dass ein Haiku keine fixe Form braucht, aber es sollte nichts Überflüssiges enthalten.

Dietmar Tauchner: Was sind die Themen des Haiku? Gibt es Themen, die für das Genre nicht geeignet sind?

Yasuomi Koganei: Es gibt kein Thema, das für das Haiku ungeeignet wäre. Wir können einen Durchbruch schaffen,wenn das Ungeeignete zum Geeigneten gemacht wird.

Dietmar Tauchner: Wie wichtig sind die Regeln der alten Meister, allen voran von Basho und Shiki, heutzutage noch?

Yasuomi Koganei: Die Hauptregeln und -techniken wurden von Basho entwickelt in bezug auf das japanische Haiku. Wichtig ist, dass Basho bis an sein Lebensende Anstrengungen unternommen hat, um das Haiku weiterzuentwickeln.

Dietmar Tauchner: Wie wichtig ist der traditionelle Hintergrund für das Schreiben von Haiku bzw. wie wichtig ist die Forderung nach „Atarashimi“, also von „Neuheit“?

Yasuomi Koganei: Die japanische Kultur hat ihren eigenen traditionellen Hintergrund, worauf das Haiku fußt, und wodurch es an Wert gewinnt; aber alte Werte zu kopieren macht wenig Sinn. „Atarashimi“ oder „Neue Werte“ sind ungemein wichtig.

Dietmar Tauchner: Zur Zukunft des Haiku: Was sollte vermieden werden, was gefördert?

Yasuomi Koganei: Nichts sollte vermieden werden, weder formal noch inhaltlich. Kultur verändert sich fortlaufend. „Wirklichkeit“ ist wichtig für das Haiku.

Dietmar Tauchner: Wie sieht’s mit der Akzeptanz des Genres im heutigen Japan aus?

Yasuomi Koganei: Ich kümmere mich nicht sehr um die Moden heutiger japanischer Haiku, aber es lässt sich ein Hang zur Diversität wahrnehmen.

Dietmar Tauchner: Warum schreiben Sie Haiku? Könnten Sie ein paar Beispiele geben?

Yasuomi Koganei: Es macht mir Freude, wenn ich etwas zum Weltfrieden beitragen kann, wenn auch nur ein wenig.

waltzing Matilda
under the Southern Cross
praying for World Peace

Matilda-Walzer tanzen
unterm Südkreuz
beten für Weltfrieden

frozen city
a dot
cleans a window

eisige Stadt
ein Knirps
reinigt ein Fenster

pale moon
resting on skycrapers
– cold rising from toes

bleicher Mond
rastet auf einem Wolkenkratzer
– Kälte steigt von den Zehen hoch

Dietmar Tauchner: Welcher Haiku-Poet hat Sie am meisten beeinflusst, und warum?

Yasuomi Koganei: Basho. Mich beeindruckt seine Haltung, stets die Herausforderung anzunehmen, neue Ziele für das Haiku zu suchen und abzustecken.

Dietmar Tauchner: Zum Schluss: Welche Ratschläge würden Sie deutschsprachigen Haiku-Freunden mitgeben?

Yasuomi Koganei: Bitte schreiben Sie Haiku ganz nach Lust und Laune.

 

Yasuomi Koganei, geboren 1938, promovierte zum Physiker an der Waseda Universität im Jahr 1962; arbeitete für die Mitsubishi Schwerindustrie- und Motor-Vereinigung. Er gründete 1995 den Meguro International Haiku Circle in Tokio.

 

Ersteinstellung: 05.11.2005