Haiku muss tanzen!

David Cobb im Gespräch mit Udo Wenzel

 

Udo Wenzel: Du warst lange Zeit Vorsitzender der Britischen Haiku-Gesellschaft (BHS) und stehst in enger Verbindung zur Deutschen Haiku-Gesellschaft (DHG). Was ist dein Eindruck von den beiden Gesellschaften? Arbeiten sie sich an den gleichen Problemen ab, geht die Entwicklung in die selbe Richtung oder gibt es wesentliche Unterschiede?

David Cobb: Ja, ich war fünf Jahre lang erster Vorsitzende der BHS (von 1991 an), der zweite Vorsitzende nach James Kirkup, der das Amt zuvor innehatte. Zuvor war ich sieben Jahre lang ‘general secretary’, was eigentlich mehr bedeutet als ‘Schriftführer’. Dass DHG und BHS mit ähnlichen Problemen beschäftigt sind, ist zum großen Teil selbstverständlich, da sich beide in einer Art ‘Literatur-Ghetto’ befinden. In beiden Ländern war damals, vor 15 Jahren, das Haiku wenig bekannt und wurde meistens falsch verstanden. Wir hatten Mitglieder – und haben sie noch –, die sich mit dieser Situation abfinden; es ist ihnen gleichgültig, ob das Haiku als richtige Poesie anerkannt wird. Für andere, auch für mich, ist das aber sehr wichtig.

Für den englischen Haiku-Dichter ist die etwas längere amerikanische Erfahrung mit dem Genre leicht (vielleicht leichter als für euch?) zu übernehmen, eventuell zu leicht, da wir gerne eine gewisse ‘englische Charakteristik’ für unsere Haiku suchen.

Und dann natürlich ‘strict form’ oder ‘free form’: das verursacht einen dauernden Streit, der aber hier in den letzten Jahren schwächer wurde. Bei uns wurde das Thema ziemlich tolerant und höflich behandelt; ich habe das Gefühl, es hat bei euch mehr Ärger gegeben. Ähnlich verhält es sich mit Haiku und Senryu. Es hat bei uns lange – länger als bei euch? – gedauert, bis man sie ziemlich klar unterscheiden konnte; und nun wollen wir keine große Sache daraus machen. Gute Haiku und gute Senryu sind bei uns mehr oder weniger ebenbürtig.

Geld hätte für die BHS ein Problem sein können, hat aber ihre Zukunft eigentlich nie bedroht. Genau wie die DHG haben wir Unterstützung von haiku-freundlichen Stiftungen bekommen, sogar einmal einen Preis von 5.000 Pfund, und dabei standen wir in Konkurrenz mit dem Britischen Museum und Sadlers Wells Ballet.

Wie bei euch, meine ich, war es von Anfang an leicht, kleine private Verlage zu finden, die sich nur um Haiku und Ähnliches einsetzen wollten, deren Veröffentlichungen aber das breite Publikum nie erreichten. Wir hatten aber das Glück, einen Verlag zu finden, Iron Press, der sich für Haiku einsetzen wollte und das hat uns viel geholfen. Der ‘man in the street’ unterscheidet jetzt zwischen Origami, Ikebana und Haiku. In nächster Zeit droht aber vielleicht Su-do-ku (hört sich an wie Pseudoku)! Diesbezüglich liegt die DHG meines Wissens bislang zurück.

Udo Wenzel: Siehst du denn eine Möglichkeit, aus diesem „Literatur-Ghetto“ herauszukommen, in das wir uns im Grunde – vielleicht aufgrund eines vereinfachten Haiku-Verständnis – selbst hineinmanövriert haben?

David Cobb: Außerhalb des Ghettos existiert eine große Vielfalt von poetischen Formen. Manche Winkel sind haiku-freundlicher als andere. Aber da viele Haikuisten lieber abgesondert von Nicht-Haikuisten arbeiten wollen, die das Haiku nur in sehr beschränktem Maße als ‘Literatur’ anerkennen, scheint es mir schwierig, aus dem Ghetto herauszukommen. Wer heraus will, kann wahrscheinlich nicht umhin, Dichtung in ‘längeren’ Formen zu verstehen und eventuell sympathisch zu finden. Umso mehr gilt dies für die so genannten ‘Haiku’ von Nicht-Haikuisten, auch wenn sie auf den ersten Blick befremdlich wirken. Es gibt Nicht-Haikuisten, die es sehr ernst mit ihren Haiku meinen, zum Beispiel Paul Muldoon.

Heutzutage in England – ist das in Deutschland auch so? – ist ‘performance poetry’ (das heißt Gedichte, die zum Vortragen geeignet sind und eventuell speziell dafür gemacht wurden) sehr beliebt. Hier ist das Haiku im Nachteil. Das Publikum schläft ein, wenn man zwanzig Minuten lang ein Haiku nach dem anderen vorträgt. Da bietet Haibun eine schöne Abwechslung.

Udo Wenzel: Seit wann schreibst du Haiku und warum hast du dich dafür entschieden, Gedichte im Haiku-Format zu schreiben und nicht einfach kurze Vier-, Fünf- oder Sechszeiler? Inwiefern passt das Haiku in unsere Kultur und in unsere Zeit?

David Cobb: Entscheidung? Das war bei mir reiner Zufall! 1977 arbeitete ich bei einem englischen Schulbuchverlag, der gerne untersuchen wollte, wie englische Sprache in Japan unterrichtet wird. Als eine Art Spion wurde ich also für drei Monate nach Tokyo geschickt. Unterwegs las ich im ‘in-flight magazine’ der Japan Airlines etwas von Haiku und dachte, das sei ein passender Zeitvertreib für den Aufenthalt in Japan. Es gab eine nette japanische Dame, die mich überall hin begleitet hat; ihr habe ich meine Haiku-Versuche (meist Nicht-Haiku) gezeigt und sie hat mir aus Barmherzigkeit das Büchlein ‘The Haiku Form’ von Joan Giroux geschenkt. Vorher hatte ich jahrelang versucht, in ausführlichen Formen zu dichten, aber daraus wurde kaum was. Seitdem ich etwas vom Haiku gelernt habe, habe ich entdeckt, dass ich auch besser in anderen Formen dichten kann. Ich kenne einige Dichter, die sich entschieden haben, beim Haiku in die Lehre zu gehen, um ihre Dichtkunst zu ‘proper poetry’ auszubauen. Insofern ist das Haiku für alle Dichter von Bedeutung. Persönlich finde ich, dass das Haiku zeitgemäß ist und seine ‘Stunde’ geschlagen hat, da die Leute viel unterwegs sind und dabei kleinere spirituelle Entspannungsmomente nutzen können. Das Haiku bringt Poesie in die Mitte des Lebens.

Udo Wenzel: Was regt dich zum Schreiben an. Was inspiriert dich besonders?

David Cobb: Folge ich der Beurteilung mancher Kritiker, so inspiriert mich eine außerordentlich große Vielfalt von Gegenständen und Situationen. Eine Zeitlang hatte ich den Ruf, eher ein Senryu- als Haikudichter zu sein; das will mir aber nicht einleuchten, obwohl ich ziemlich oft über Beziehungen zwischen Menschen schreibe. Es kommt recht häufig vor, muss ich gestehen, dass mir ein Haiku einfällt, während ich Haiku oder Senryu von anderen Dichtern lese. Ist das schlimm? Ich meine nicht Parodien oder Neufassungen, sondern mit einem Seitensprung kommt etwas aus dem Gedächtnis, das mir sonst vielleicht nicht eingefallen wäre. Ich glaube gelernt zu haben, dass es keine gute Idee ist, in die Ferien zu reisen und zu meinen, man werde dabei schöne exotische Haiku finden. Je näher man dem eigenen Habitat ist, desto eher entstehen neue Texte, die wahrhaftig sind. Inzwischen lasse ich die Haiku an mich heranschleichen, ich gehe nicht mehr auf die Suche nach ihnen.

Udo Wenzel: Diese Art des Seitensprungs kenne (und liebe) ich ebenfalls. Aber was ist mit der Natur, mit der Landschaft und den Phänomenen der Jahreszeiten? Welchen Stellenwert haben die für dich?

David Cobb: Ich habe dieses Seitensprung-Phänomen nur erwähnt, weil ich es – wie mir jetzt einleuchtet, ungerechtfertigterweise – für idiosynkratisch hielt! Selbstverständlich werde ich, wie sicherlich jeder andere Haikuist, von der Landschaft (aber nicht so sehr) und von den Jahreszeiten und ihren Erscheinungen (viel mehr) inspiriert. Dabei bin ich vor allem glücklich, wenn ich einen Zusammenhang zwischen heute und damals, bzw. zwischen diesem Augenblick und dem Ewigen spüre. Ich neige zum Ironischen. Ein Beispiel, wenn ich darf: Bitte bedenke, dass ‘Culloden Moor’ unser letztes einheimisches Schlachtfeld bezeichnet, wo Engländer und Schotten im Jahre 1746 gegeneinander gekämpft haben:

Culloden Moor –
a child is looking hard
for four-leaf clovers

Udo Wenzel: Gibt es einen Haiku-Dichter, der auf dich einen besonders großen Einfluss hatte? Würdest du bitte einige Lieblingsgedichte nennen und beschreiben, was du daran besonders schätzt?

David Cobb: Vom Anfang, also von 1977 an gerechnet, dauerte es gut 10 Jahre, bevor mir Haiku von anderen Dichtern überhaupt bekannt wurden. Es war meine Ignoranz, ich wusste einfach nicht, wie populär das Gedicht geworden war. Aber ich las in dem schon erwähnten Büchlein von Joan Giroux einige Haiku von dem Amerikaner James W. Hackett, die mir besonders gut gefallen haben, zum Beispiel:

Searching on the wind,
the hawk’s cry –
is the shape of its beak.

Deep within the stream
the huge fish lie motionless
facing the current.

Two flies, so small
it’s a wonder they ever met,
are mating on this rose.

Sometimes the oddest thing,
like this orange pip,
begs not to be thrown away.

Sweeping into a pan;
the narrow line of dust
that defies its edge.

This garter snake
goes in and out of the grass
all at the same time!

Ein reger Briefwechsel mit Hackett begann, und bald darauf mit Joan Giroux. Sie hat mich vor dem Anthropomorphismus gewarnt, der bei Hackett oft vorkommt. Was Senryu betrifft, so habe ich von dem Kanadier George Swede etwas gelernt, zum Beispiel von seinem sehr bekannten

passport check
my shadow waits
across the border

Hier noch einige Haiku von anderen Dichtern, die mir sehr viel sagen:

midday heat
soldiers on both sides
roll up their sleeves

Lenard D. Moore

Da braucht man keine Anti-Kriegs-Propaganda mehr!

custody battle –
a bodyguard lifts the child
to see the snow

Dee Evetts

Davon die Humanität!

In the car finding
the distance from seat to wheel
is still yours

Susan Rowley

Alltagshumor. Einsicht in die Welt der Frauen!

distant thunder
the dog’s toenails click
against the linoleum

Gary Hotham

Man hört die Stille, die Gegenüberstellung von ‘click’ (Knipsen) und ‘thunder’ (Donnerschlag) ist einfach meisterhaft. Den Donner hört man wieder, als Echo, in ‘linoleum’, ein echtes ‘Donnerwort’.

hot bath water
cold on the breastless side
another fine day

Yoko Ogino

Wie sie ihr Leid und ihren Verlust akzeptiert und das (gute) Leben weitergeht.

its sight has been lost
and yet, for that eye also
I polish a glass

Hino Sojo

Dasselbe.

solar eclipse
and at the darkest point
you call my name

Claire Bugler Hewitt

Dieses Haiku ist gleichzeitig mysteriös und klar; man kann es so verschieden deuten, aber jede Lösung ist überzeugend und bedeutungsvoll.

Udo Wenzel: Ganz unterschiedliche Haiku, die du aus unterschiedlichen Gründen schätzt. Bedeutet das, dass die Qualität eines Haiku diverse Ursachen haben kann und es dafür gar keine festen Kriterien gibt?

David Cobb: Willst du mir eine Schlinge um den Hals legen? Kriterien muss man schon haben – aber man muss bereit sein, sie aufzugeben. Das klingt wankelmütig. Ich glaube, es ist so: Man schätzt wirklich ausgezeichnete Haiku, bevor man überhaupt an Kriterien gedacht hat. Und wenn man später irgendeine Einwendung machen könnte, sollte man sie lieber vergessen. Schön ist es, so selbstbewusst zu sein, dass man sagen kann: Man hat es öfter sofort im Gefühl … Geist und (im reinsten Sinne) Humor sind alles.

Udo Wenzel: Immer mehr althergebrachte Haiku-Regeln werden heute in Frage gestellt. Das liegt nicht nur daran, dass die so genannte Freiheit der Kunst mit festen Regeln in ein Spannungsverhältnis geraten kann, sondern auch an der Tatsache, dass im Westen erst seit wenigen Jahren deutlich wird, dass lange Zeit ein allzu vereinfachtes Haiku-Verständnis existierte. Was sind deine Erfahrungen? Woher kommen diese Vereinfachungen und welche Probleme entstanden dadurch bzw. existieren bis heute?

David Cobb: Wir schulden R.H. Blyth so viel. Wenn er nicht als Pionier seinen Weg eingeschlagen hätte, gäbe es heute vielleicht kein englisches (kein europäisches?) Haiku. Aber, seine Betonung von Zen hat zu engen Haiku-Regeln geführt. Vor allem, dass für die Zenisten ‘dieser Augenblick’ so wichtig wurde. Auch der Realitätsbezug. Vielleicht haben wir erst von Haruo Shirane (‘Traces of Dreams’ und ‘Beyond the Haiku Moment’) gelernt, wie oft japanische Haiku auf Fantasie zurückgehen (der Kamm von Busons ‘toter’ (noch lebender) Frau, zum Beispiel). Von Makoto Ueda (‘Basho and his Interpreters’) haben wir gelernt, dass die Haiku von Basho so ‘klar’ und ‘direkt’ sind, dass jeder Gelehrte in Japan sie anders versteht! Die Zenisten haben auch übersehen, dass Blyth vor allem, was mit -ism endet, gewarnt hat.

William Higginson hat mit seinem bekannten ‘Haiku Handbook’ (1985) auch Gutes und Schlechtes bewirkt: Zum Beispiel ist sein Urteil, dass 10-12 Silben eher als 17 Silben für unsere westliche Haiku geeignet sind, beinahe zur festen Regel geworden. Das trifft aber für die britisch-englische Aussprache nicht zu, da wir viel mehr Silben verschlucken als die Amerikaner. Seine Behauptung, dass wir unsere Jahreszeitenwörter nach dem japanischen Muster aufbauen sollten, ist auch nicht hilfreich gewesen. Ein Problem ist auch noch, was wir aus dem kireji (Schneidewort) machen können. Das geht wahrscheinlich tiefer ins Herz des Haiku als das kigo oder die Silbenzahl.

Udo Wenzel: Spielt der hier so oft genannte Zen-Bezug in deiner Dichtung eine Rolle?

David Cobb: Für die Zenisten selber spielt das Zen eine Rolle, sie sollten aber nicht meinen, dass sie alleine auf dem einzig richtigen Weg sind. Ich kann mich eigentlich nicht entscheiden, in welchem Maße ich auch persönlich Zenist geworden bin! Ich habe zwar viele Jahre in einem buddhistischen Land gelebt und war 25 Jahre lang mit einer Buddhistin verheiratet! Aber ich bekenne mich nicht als Buddhist oder Zenist. Wenn Zen irgendeine Rolle in meinem Leben spielt, so ist es unbewusst. Etwas verblüfft höre ich zur Zeit, dass ich ‘typisch Englisch’ sei. Das würde mir gefallen!

Udo Wenzel: Mit der Dekonstruktion dessen, was im Westen bisher unter Haiku verstanden wurde, geht eine große Unsicherheit einher. Wenn die Regeln fallen (keine Metapher, keine Personifizierungen, 5-7-5 Moren, kigo), was unterscheidet dann noch das Haiku von moderner Poesie? Was ist daran spezifisch? Gibt es Dinge, woran du unbedingt festhalten würdest?

David Cobb: Prinzipiell will ich das moderne Haiku von der Poesie in längeren Strophen nicht unterscheiden – nur dass es eben nichts Kürzeres gibt. Die Lebensanschauung von Haiku-Poeten ist aber im Allgemeinen gesünder als die der ‘Mainstream-Dichter’: nicht so selbst besinnend und egozentrisch, demütiger, hoffnungsvoller. Vielleicht könnte man sagen, dass der ‘Mainstream-Dichter’ nur schwerlich dem Schatten von Auschwitz entschlüpft; der Haiku-Poet aber kennt noch den Garten Eden. Das Paradoxe daran dürfte sein, dass sowohl wir als auch die ‘Mainstreamer’ den Untergang der menschlichen Kultur thematisieren.

Udo Wenzel: Gibt es deines Erachtens Themen, die im Haiku oder Haibun nicht verwendet werden sollten?

David Cobb: Sci-fi Haiku sind für mich nicht überzeugend. Ich finde die Vergangenheit prägnanter als die Zukunft. Ansonsten sehe ich keine besonderen Grenzen.

Udo Wenzel: Hast du in der langen Zeit, die du Haiku schreibst, Entwicklungsphasen durchgemacht? Welche? Wie hat sich im Lauf der Zeit dein eigenes Schreiben verändert? Bist du durch Krisen gegangen?

David Cobb: Vielleicht gibt es solche Phasen, aber ich könnte sie nicht festnageln. Ich merke aber, dass ich immerzu zwischen Nicht-5-7-5 und strikten 5-7-5 Fassungen desselben Haikus schwanke; und in letzter Zeit immer mehr zu 5-7-5 neige. Diese Wankelmütigkeit entsteht, weil ich gerne Haiku laut gesprochen höre. Die Musik, die mir am Montag gefallen hat, gefällt mir nicht unbedingt am Dienstag. Aber ich betrachte 5-7-5 als nur eine Option, die der freie Stil uns bietet.

Udo Wenzel: Du schreibst Deutsch und Englisch. Welche Erfahrungen hast du mit dem Schreiben in unterschiedlichen Sprachen gemacht?

David Cobb: Ich habe lange gedacht, dass der deutsche Haiku-Dicher ungerechterweise unter der Last der deutschen Grammatik leiden müsste! Ich merke aber in der letzten Zeit, dass sie gewisse ‘Tricks’ gefunden haben, um sich diese Last leichter zu machen oder zu umgehen. Ich freue mich, jetzt so viele knappe, rhythmisch-springende deutsche Haiku lesen zu können. Haiku, wie Poesie im Allgemeinen, muss tanzen! Viele englische Haiku sind leicht ins Deutsche zu übersetzen, und umgekehrt, und, meiner Erfahrung nach, noch leichter ins Holländische. Es gibt aber Haiku, für die man keine würdige Übersetzung finden kann. Die sollte man im Original belassen.

Udo Wenzel: Welche Möglichkeiten siehst du für andere poetische Formen Japans hier im Westen, zum Beispiel für das Haibun oder das Haiga?

David Cobb: Ich habe mir sehr viel Zeit für das Haibun genommen, habe sogar eine ganze Sammlung, die ich gerne veröffentlichen würde. Vor ein paar Jahren habe ich der BHS vorgeschlagen, den so genannten ‘Nobuyuki Yuasa Haibun Contest’ alljährlich abzuhalten. Ich merke, dass in der Zwischenzeit immer häufiger Haibun zu finden sind. Im Februar 2006 werde ich sogar eingeladen, an einer englischen (eigentlich walisischen) Universität das Thema Haibun zu referieren.

Ich wünschte, dass Haiga-Maler nicht so buchstäblich interpretieren und abbilden würden. Dann wäre es für mich viel interessanter.

Beim Renku besteht die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Poeten, die sonst wenig Kontakt mit dem Haiku haben.

Udo Wenzel: Welche Aktivitäten verfolgst du in der nächsten Zeit? Gibt es neue wichtige Projekte?

David Cobb: Ich befasse mich zurzeit mit der Redaktion des ‘Euro-ku Eighty’ – eine sehr kleine Anthologie mit 80 Haiku von 80 europäischen Dichtern, die im Frühling 2006 erscheinen soll. Das Übersetzen macht mir Spaß! Ich spiele mit dem Gedanken, dass wir das Büchlein in Brüssel, im Rahmen der EU Kulturkommission, lancieren werden! Mal sehen!

Udo Wenzel: Könntest du uns zum Abschluss bitte einige deiner Haiku vorstellen?

David Cobb: Diese Haiku von mir scheinen wiederholt gut anzukommen und erschienen schon in deutschen Fassungen:

der Schwarzdorn blüht –
ich fahr’ die halbe Strecke
ohne abzublenden

Narzissenmorgen –
zum Anziehen such’ ich etwas
ganz besonders Blaues

der Wind dreht sich –
Distelwolle weht
heim von der See

Grillparty –
die Bauchhärchen des Chefs
mit Salz bespritzt

im kurzen Moment
zwischen den Leuchtturmblitzen
kalter Fischgeruch

Schweigen beim Frühstück –
beide Grapefruithälften
noch ungezuckert

Udo Wenzel: Lieber David, vielen Dank für das Gespräch.

 

Ersteinstellung: 05.12.2005