Drei Haiku 2001-2010

Drei Haiku 2001-2010
Projektbericht von Volker Friebel & Dietmar Tauchner

 

Mitte Januar 2012 schrieben wir 83 deutschsprachige Haiku-Autoren an, die nach unserer Kenntnis regelmäßig in Wettbewerben, Auswahlen oder Anthologien vertreten sind. Aus dem Einladungsbrief:

„Liebe Haiku-Freunde, wir möchten zu einem Haiku-Projekt einladen, um Haiku aus den Jahren 2001 bis 2010, die besonders in Erinnerung geblieben sind. Dazu bitten wir, bis zu 3 Haiku aus dieser Zeit anzugeben, die Sie persönlich besonders beeindruckt haben. Das sollten keine eigenen Haiku sein, sondern Haiku anderer Autoren, und zwar original in deutscher Sprache. Alle Haiku, die Ihnen aus den letzten Jahren irgendwie und irgendwo bekannt geworden sind, kommen dafür in Betracht. Als Definition für ein Haiku verwenden Sie bitte Ihre eigene, das heißt: Es gibt keine formalen Vorgaben zu Form und Inhalt der Texte.“

36 der Angeschriebenen folgten der Einladung. Einige weitere antworteten und verwiesen auf die Unmöglichkeit des Anliegens aus den sehr vielen guten in diesem Zeitraum veröffentlichten Haiku lediglich drei herauszusuchen. Insgesamt gab es 105 verwertbare Haiku-Nennungen. Diese entfielen auf 94 verschiedene Texte. Nur ganz wenige Haiku wurden zwei oder mehr Male genannt. Ein einziges Haiku wurde mehr als zweimal genannt, nämlich mit vier Nennungen:

 

Im Treppenhaus
dein Lächeln
ist schon oben

Gerd Börner

 

Jeweils zwei Mal genannt wurden die folgenden Haiku (nach dem Alphabet der Autorennamen geordnet):

 

Sonnenfinsternis
die Wucht
des Schweigens

Wolfgang Beutke

 

Jenem Menschenkind
ein guter Bruder: silbern
rauschte der Vollmond.

Michael Donhauser

 

Blätter schweben
im Abendlicht – wie schwer
so leicht zu sein

Ruth Franke

 

In mein Briafkastl
hat a klane Meisn a Nest.
Schreib ma liaba net.

Gerhard Habarta

 

Winterabend.
Mit kleinen Stichen erscheint
das Lächeln der Puppe.

Ingrid Kunschke

 

nach soviel Nacht
Magnolienblüten

Helga Stania

 

ihre sms    fliederduft

Dietmar Tauchner

 

Beschuldigungen irgendwann ist der Regen zu Schnee geworden

Dietmar Tauchner

 

Wegen der breiten Verteilung der Stimmen auf einzelne Haiku haben wir geschaut, ob sich wenigstens bei den genannten Autoren eine Häufung feststellen lässt. Das war so. Drei oder mehr Haiku wurden von folgenden Autoren aufgeführt (in alphabetischer Reihenfolge):

Wolfgang Beutke, Gerd Börner, Claudia Brefeld, Michael Donhauser, Volker Friebel, Georges Hartmann, René Possél, Helga Stania, Dietmar Tauchner, Hubertus Thum, Udo Wenzel, Angelika Wienert.

Das Projekt war ein Experiment. Es dürfte sich lohnen, so etwas regelmäßig zu wiederholen. Jährlich werden sehr viele Haiku veröffentlicht. Die Entwicklung eines Gedächtnisses könnte sich als Voraussetzung dafür erweisen, das Haiku als literarische Form auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren.

 

Ersteinstellung: 13.03.2012