Haiku und Musik im Dialog

Ein Abend in Esslingen
Peter Wißmann

 

Esslingen am Neckar, 14. Oktober 2014, abends. Aus den Fenstern der Buchhandlung „Provinzbuch“ dringen Töne und Stimmen. Irgendwelche Menschen scheinen dort Gedichte zu rezitieren. Aber warum sind die so kurz? Und die Töne: Mal hört man ein Cello elegisch brummen, dann wiederum setzt es an zu keckem Gesang. Und ein anderes Mal macht es nur merkwürdige Geräusche. Da wird geklopft, gekratzt und gehaucht. Reingehen, um nachzuschauen, was dort oben in der Buchhandlung geschieht, ist leider nicht möglich. Der Raum ist nämlich voll.

In der Tat wurden an diesem Abend kurze Gedichte vorgetragen: Haiku. Aber sie waren nicht allein, sie hatten sich ein Cello und eine Sansula als Partner mitgebracht, um miteinander zu kommunizieren. Und selbstverständlich standen hinter den vorgetragenen Haiku und der Musik auch Menschen: Volker Friebel (Tübingen), Peter Wißmann (Stuttgart) und Anna Lena Knörr (Heidelberg) für das gesprochene Wort sowie Katrin Zojer (Ostfildern) für Cello und Sansula. Ein abwechslungsreiches Programm hatten sich die Vier ausgedacht: Vorgetragen wurden, nach thematischen Blöcken unterteilt, zu Beginn Herbsthaiku alter japanischer Meister. Doch der Rest des Abends galt ausschließlich dem deutschsprachigen Haiku. Jahreszeitenhaiku (Sommer, Winter und zum Schluss der Frühling), scherzhafte Haiku, Gendai-Haiku, eine Mischung aus Reiseprosa und Haiku (Vietnam) sowie Auszüge aus einem Zyklus mahgrebinischer Haiku boten den Zuhörern einen breiten Überblick über die Gattung und über das Schaffen deutschsprachiger Haiku-Autoren. Doch es sollte ja ein Dialog sein, es ging schließlich um die Kommunikation von Haiku und Musik. Und so entspann sich flugs ein ebenso spannendes wie abwechslungsreiches Wechselspiel zwischen gesprochenem Wort und mal tonalem, mal atonalem und oft auf reine Geräusche konzentriertem Klang. Manche der Besucher waren mit dem Haiku als lyrischer Form bereits vertraut, andere lernten sie an diesem Abend zum ersten Mal kennen. Für diese gab Volker Friebel zwischendurch eine kurze Einführung. Neu war für alle das ungewöhnliche Zusammenspiel von Worten und Klang. Auch für die vier Beteiligten, die in dieser Form noch nie zusammengearbeitet hatten. Beim Publikum, das sich anschließend noch über die DHG informieren, Haikubücher und Kalender anschauen oder kaufen und mit den vier Ausführenden unterhalten konnte, stieß der Abend durchweg auf Zustimmung und mehr als einmal wurde der Wunsch geäußert, man möge doch noch mehr solcher interessanter Veranstaltungen anbieten. Die vier Planer und Ausführenden des Abends können sich das gut vorstellen. Mal schauen, wann man das nächste Mal von einem Dialogabend Haiku und Musik hören wird.

Um ein Haar hätte es sogar eine Audio-Dokumentation der Veranstaltung in Esslingen gegeben. Leider wurde jedoch vergessen, den Startknopf an dem Aufnahmegerät zu betätigen. Allein das schreit nach einer Wiederholung.

Ersteinstellung: 15.06.2015