Peter Janßen
Mann aus der Mauer, so nennen die Kinder in der Nachbarschaft den Alten mit den kurzen, grauen Haaren und dem roten Gesicht. Er wohnt allein, hinter einer Backsteinmauer, die Teil einer mit schwarzen Schindeln gedeckten Scheune ist. Diese grenzt links an einen Bauernhof, rechts erstreckt sich ein Vorgarten, der zu einem weiter zurückliegenden Wohngebäude gehört. Zwei der drei Fensteröffnungen in der Backsteinmauer sind mit Brettern zugenagelt. Am Holzrahmen des dritten Fensters, hinter dem die Behausung des Mannes liegt, blättert der weiße Lack ab. Die Scheiben haben Sprünge und sind grob gekittet. Die Tür links neben dem Fenster ist grau gestrichen und mit kleinen Brettchen geflickt. An warmen Sommertagen steht sie manchmal offen. Der Blick geht in eine dunkle Höhle, in der die Möbel, der Kohleofen und der übrige Hausrat kaum zu erkennen sind. Von der Decke hängt eine Glühlampe ohne Schirm herab.
Oft steht der Alte in Pantoffeln vor der Tür, mürrisch, mit zusammengekniffenen Augen, die Hände in den Taschen der ausgebeulten Hose. Oder er hält sich am nahen Kiosk auf, schwankend, eine Flasche Bier in der Hand. Hier krakeelt er auch mal mit heiserer Stimme. Es kommt vor, dass er eine Zeitung vom Tresen nimmt, wenn er sich unbeobachtet glaubt, und in die Jackentasche schiebt, ohne sie zu bezahlen.
Jeden Freitag, zur Mittagszeit, schlurft der alte Mann mit einem weißen Teller in der Hand in den kleinen Laden an der Ecke. Wenn er ihn wieder verlässt, trägt er den Teller, über dessen Rand jedes Mal ein grauer Fischschwanz ragt, behutsam und mit andächtigem Gesicht zurück in sein dunkles Zimmer.
Nach dem Mittagsmahl
wartet der Alte am Fenster –
bald ist die Schule aus.
Ersteinstellung: 07.08.2006