Sabine Sommerkamp – Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne

Buchvorstellung von Volker Friebel

Sabine Sommerkamp (2023): Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne. Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik. Iudicium Verlag, München. Durchgesehener und um ein Nachwort erweiterter Neudruck der Ausgabe 1984. Gebunden: 427 Seiten, ISBN 978-3-86205-603-3, 38,00 €. EBuch (pdf): ISBN 978-3-86205-974-4, 26,99 €.

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Fast 40 Jahre nach Annahme ihrer Dissertation an der Universität Hamburg veröffentlicht Sabine Sommerkamp ihr Buch beim Iudicium Verlag, München. Das weist darauf hin, dass es sich um ein ungewöhnliches und zeitloses Werk handelt.

Ausführlich wird die Bewegung des Imagismus beleuchtet. Sabine Sommerkamp fasst dessen Bestrebungen so zusammen: „Statt beschreibender Dauer suchte man die Präsentation eines einzigen Augenblicks, indem man alles Redundante strich und die Wirkung des Gedichtes durch ein zentrales Bild auslöste. Die mit emotionaler Projektion erzeugte Verfremdung der Wirklichkeit sollte durch ein Höchstmaß an Objektivität neutralisiert werden; man wollte dem Leser ein Stück Wirklichkeit enthüllen, statt ihm etwas Subjektives vorzustellen.“ (Seite 38) Zwischen 1909 und 1917 beschäftigten sich die Imagisten in London so mit neuen Ausdrucksformen der Lyrik und haben nach Sommerkamp die ganze folgende angelsächsische Dichtung beeinflusst. Am bekanntesten geworden ist Ezra Pound. Sommerkamp bespricht denn auch ausführlich dessen aus Haiku-Sicht wichtigstes Gedicht:

The apparition of these faces in the crowd;
Petals on a wet, black bough.

(Das Erscheinen dieser Gesichter in der Menge;
Blütenblätter auf einem nassen, schwarzen Zweig.)

Im Kapitel „Imagistische Haiku-Strömungen nach dem Ersten Weltkrieg“ beleuchtet Sommerkamp den Einfluss des Haiku etwa auf William Butler Yeats, Ernest Hemingway, Carl Sandberg, T.S. Eliot, William Carlos Williams und Wallace Stevens.

Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit der Zeit ab 1955, den Dichtern der „Beat Generation“. Besonders die Verbindung zum Zen-Buddhismus, die in der einflussreichen vierbändigen Anthologie japanischer Haiku von R.H. Blyth hervorgehoben wird, hat es vielen Vertretern der Beat Generation angetan. Ausführlich geht Sommerkamp auf Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Gary Snyder, Philip Whalen, Gregory Corso und Lawrence Ferlinghetti ein. Herausgearbeitet wird der Einsatz von Haiku auch als Kerne in längeren Gedichten durch Allen Ginsberg, so in seinem bekanntesten Gedicht „Howl“, und durch Jack Kerouac in seinem Roman „Dharma Bums“. Sommerkamp dazu: „Nach Ansicht von Ginsberg liegt in dieser Art ‚wundervoll miteinander verknüpfter Assoziationen von Haiku-Bildern‘ der Höhepunkt Kerouacscher Prosa.“ (Seite 180) Daneben haben beide auch viele einzelne Haiku geschrieben. Als Beispiel ein Haiku von Allen Ginsberg aus dem Jahr 1959 (Seite 159):

The flat sky over the blocks,
pigeons carry wires
between the roofs.

(Der flache Himmel über den Blöcken,
Tauben tragen Drähte
zwischen den Dächern.)

Die beiden nächsten Kapitel gehen auf Haiku bei anderen Autoren neben und nach der Beat Generation ein, schwerpunktmäßig, da die Entwicklung mit Drucklegung der Dissertation und auch heute nicht abgeschlossen und kaum mehr zu überblicken ist. Viele Richtungen stehen nebeneinander. Als traditionell orientiertes Beispiel ein Haiku von James Tipton (Seite 311):

In the pine forest
a hunter gutting a dear;
the first flakes of snow

(Im Kiefernwald
ein Jäger, der einen Hirsch ausnimmt;
die ersten Schneeflocken)

Ein letztes Kapitel beschäftigt sich mit dem Haiku in und im Zusammenspiel mit anderen Künsten, so Fotografie, Film, Vertonungen, Ballett, auch mit dem Haiku im Schulunterricht und in der Poesietherapie.

Soweit die Übersicht.

Ich bin kein Literaturwissenschaftler. Daher hat mich gar nicht so sehr die reichlich vorhandene wissenschaftliche Gründlichkeit berührt, sondern die Freude und der Einsatz für das Haiku, die hinter allen Analysen deutlich zu spüren sind. Sabine Sommerkamp hat für ihr Buch ein Vierteljahr Nordamerika bereist, sie hat nicht nur in der Bibliothek gelesen, sondern mit vielen der Dichter und Literaturwissenschaftler ihres Buchs wirklich gesprochen, so mit Allen Ginsberg, Gary Snyder, Kenneth Rexroth, Philip Whalen, Lawrence Ferlinghetti, Leonard Cohen, George Swede, Makoto Ueda, Bill Higginson, Cor van den Heuvel und vielen anderen. Diese Gespräche gehen in ihre Arbeit mit ein. Und das macht dieses Buch zu etwas ganz Besonderem, macht es lebendig und inspirierend, damals, jetzt und solange Menschen sich für Dichtung interessieren.

Ein für die Beschäftigung mit der Entwicklung des Haiku im Westen und seines Einflusses auf die westliche Dichtung höchst wertvolles Buch, für das Autorin und Verlag nicht genug gedankt werden kann.

Und es gibt noch etwas Besonderes: The Narrow Road to the Far West – Stationen einer Forschungsreise. In das Buch sind einige Bilder aufgenommen, auf ihrer Netzpräsenz stellt die Autorin das ganze private Foto-Album mit kommentierten Bildern ihrer Reise und vielen ihrer Gesprächspartner, mit Eindrücken, Gedichten und Widmungen, als pdf zur Verfügung.

http://www.sabine-sommerkamp.de/literatur.html

 

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