Tobias Tiefensee: Zwiegespräch mit der Stille

Buchvorstellung von Volker Friebel

Tobias Tiefensee (2023): Zwiegespräch mit der Stille. Rotkiefer Verlag, Berlin / BoD, 48 Seiten, 6 €.

Ein Klick führt zum Heft, mit weiteren Infos und einer Bestellmöglichkeit: Amazon.
Das Buch ist aber auch anderswo sowie über den Rotkiefer Verlag erhältlich (dort kommt noch eine Versandpauschale hinzu).

20 Haiku von Tobias Tiefensee, 10 Bilder verschiedener Autoren von shutterstock – das Heft ist angenehm locker gestaltet, die gesetzte Schreibschrift liest sich gut.

Kann jemand mit der Stille sprechen, wie der Titel des Hefts behauptet? Stille verändert mich. Und sie verändert sich, wenn ich mich ihr zuwende – das ist ein Gespräch. Oder sollte es sein. Nicht alle Gespräche von Menschen genügen diesem Anspruch. Der Autor beweist es mit einem Text:

deichspaziergang
unser zwiegespräch
zwei monologe

Tobias Tiefensee schreibt erst seit dem Jahr 2017 Haiku. Er ist seither im Netz gut vertreten. Wahrscheinlich tanzt er gern, denn gleich zwei originelle Texte handeln vom Tanzen. Mit einem davon hat er den Haiku-Preis 2019 gewonnen. Hier ist der andere:

vor dem badspiegel
sie tanzt und singt
in ihren föhn

Eine einfache Beobachtung, die lächeln macht und gute Laune. Im Alltag mag das schnell wieder vorüber sein. Aber der Dichter hebt die Beobachtung aus dem Fluss der Ereignisse heraus und fasst sie in Worte. Er verleiht ihr dadurch einen bleibenden Wert. Das ist Kunst.

Braucht es mehr? Philosophische Hintergründigkeit? Wortspiele? Mehrere Betrachtungsebenen? Auch solche Haiku gibt es in der Welt und im Heft. Die meisten Haiku im Heft aber sind freundlich und leicht und machen gute Laune.

Ich mag tiefsinnige Haiku – und ich mag die Leichtigkeit, die sich selbst genügt. Wichtig ist nur, dass die Worte ihre Leser berühren.

kathedralenecke
die habe
des landstreichers

Die Gefahr, dass Texte über soziale Themen und Ungerechtigkeiten ins Gutgemeinte abrutschen, finde ich groß. Weshalb gefällt mir dann dieser Text ausgesprochen gut?

Die riesige Kathedrale im Gegensatz zur geringen Habe des Landstreichers in einer Ecke davon, das steht da, und das allein reicht nicht.

Meine Assoziationen gehen aber weiter zu dem, was religiöse Orte eigentlich ansprechen möchten und in dem es eine Habe eben nicht gibt, sondern etwas anderes, was auch immer es ist, vielleicht ein Sein, das jedenfalls bei allen Menschen gleich groß ist oder sein sollte.

Das ist ein Text, an dem besonders klar zu sehen ist, wie die Leser am Haiku mitdichten.

Ein letztes Beispiel aus dem Heft:

weggabelung
unsere meinungen
geteilt

Meine Meinung zum Heft und den Haiku darin ist einstimmig positiv.

 

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