und Haiku-Besprechung
von René Possél
Neujahrsmorgen
wieder ein neues
Lachen der Tochter
Tobias Krissel
Altes Familienfoto
ein Knick
trennt die Eltern
Claudia v. Spies
am kindergarten
eine rabenmutter
und ihre jungen
Tobias Tiefensee
das schweigen
hat einen namen
deinen
Tobias Tiefensee
erster Januar
das alte Lied
ich singe es neu
Dorothea Philipps
grauer Tag
mein himmelblauer Pulli
gibt ihm Kontra
Brigitte ten Brink
nebelmorgen den bach quert ein langer blick
Helga Stania
Südstadtring
der Wind trägt
die Werbung aus
Ingrid Löbling
Winterwanderung
das kalte Geräusch
von bloßem Weiß
Adrian Bouter
bergweiler
einer alten kirche langer schatten
Helga Stania
Im Januar 2019 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 406 Haiku von 68 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
Neujahrsmorgen
wieder ein neues
Lachen der Tochter
Tobias Krissel
Die Zeit ist in der ersten Zeile des Haiku klar beschrieben: Es ist der Morgen des Neuen Jahres – das Neuste des Neuen.
„Neujahr“ stellt außerdem, in der japanischen Haiku-Tradition, die quasi fünfte Jahreszeit dar.
Der Neujahrsmorgen weckt in vielfacher Hinsicht Vorstellungen und Assoziationen.
Die zweite Zeile macht neugierig, was denn da „wieder neu“ sein könnte, wenn dies neue Jahr gerade mal ein paar Stunden alt ist.
Die dritte Zeile hat es in sich. Sie birgt und bringt („haiku-like“) die Überraschung und schöne, unausgesprochene Gedanken:
Da misst ein Vater/eine Mutter das Neue an der Entwicklung, speziell am Lachen, der (kleinen?) Tochter. Da hat einer/eine offenbar, schon im alten Jahr, viele Arten zu lachen bei seinem Kind entdeckt. Und da bemerken achtsame Eltern im Lachen des eigenen Kindes „wieder“ eine neue Variation … Vielleicht meint der Satz auch nur: Wieder ein weiteres Lachen der Tochter.
In jedem Falle gilt: Was für eine wunderbar menschliche Art, das Neue des Neuen Jahres zu definieren und immer neu zu entdecken: im Lachen der eigenen Tochter!