Top-Extra Februar 2019

und Haiku-Besprechung
von René Possél

 

Neujahrsmorgen
wieder ein neues
Lachen der Tochter

Tobias Krissel

 

Altes Familienfoto
ein Knick
trennt die Eltern

Claudia v. Spies

 

am kindergarten
eine rabenmutter
und ihre jungen

Tobias Tiefensee

 

das schweigen
hat einen namen
deinen

Tobias Tiefensee

 

erster Januar
das alte Lied
ich singe es neu

Dorothea Philipps

 

grauer Tag
mein himmelblauer Pulli
gibt ihm Kontra

Brigitte ten Brink

 

nebelmorgen         den bach quert ein langer blick

Helga Stania

 

Südstadtring
der Wind trägt
die Werbung aus

Ingrid Löbling

 

Winterwanderung
das kalte Geräusch
von bloßem Weiß

Adrian Bouter

 

bergweiler
einer alten kirche langer schatten

Helga Stania

 

Im Januar 2019 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 406 Haiku von 68 Autoren ein. René Possél wählte hieraus ohne Kenntnis der Autorennamen 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.

Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.

 

Neujahrsmorgen
wieder ein neues
Lachen der Tochter

Tobias Krissel

 

Die Zeit ist in der ersten Zeile des Haiku klar beschrieben: Es ist der Morgen des Neuen Jahres – das Neuste des Neuen.
„Neujahr“ stellt außerdem, in der japanischen Haiku-Tradition, die quasi fünfte Jahreszeit dar.
Der Neujahrsmorgen weckt in vielfacher Hinsicht Vorstellungen und Assoziationen.

Die zweite Zeile macht neugierig, was denn da „wieder neu“ sein könnte, wenn dies neue Jahr gerade mal ein paar Stunden alt ist.

Die dritte Zeile hat es in sich. Sie birgt und bringt („haiku-like“) die Überraschung und schöne, unausgesprochene Gedanken:

Da misst ein Vater/eine Mutter das Neue an der Entwicklung, speziell am Lachen, der (kleinen?) Tochter. Da hat einer/eine offenbar, schon im alten Jahr, viele Arten zu lachen bei seinem Kind entdeckt. Und da bemerken achtsame Eltern im Lachen des eigenen Kindes „wieder“ eine neue Variation … Vielleicht meint der Satz auch nur: Wieder ein weiteres Lachen der Tochter.

In jedem Falle gilt: Was für eine wunderbar menschliche Art, das Neue des Neuen Jahres zu definieren und immer neu zu entdecken: im Lachen der eigenen Tochter!