und Haiku-Besprechung
von René Possél
haben die Magnolien
tiefer geschwiegen?
Bernadette Duncan
ach, brächte ich doch
einen traum zum keimen
lenzmond
Birgit Schaldach-Helmlechner
Dienstagnacht
er googelt alle
die er hasst
Stefanie Bucifal
Geburtstag
eine Krähe pflückt
Gänseblümchen
Eleonore Nickolay
Kranichflug
auf meinem Foto
der leere Himmel
Eleonore Nickolay
Nachruf
auf die Leere
an meiner Seite
Birgit Heid
Pflegeheim
alle Fenster gekippt
für die Amsel
Bernadette Duncan
Russisches Brot
wir buchstabieren
FRIEDEN
Gabriele Hartmann
Sonntagmorgen
der Busfahrer entschuldigt sich
für die Bach-Kantate
Bernadette Duncan
Tanzstunde
eng verschlungen
unsere Blicke
Anke Holtz
Im März 2022 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 419 Haiku von 76 Autoren ein. René Possél bekam die Liste der Haiku alphabetisch geordnet ohne Autorennamen vorgelegt und wählte aus ihr 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.
Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.
haben die Magnolien
tiefer geschwiegen?
Bernadette Duncan
Ist das ein Haiku? Eine Frage über zwei Zeilen, im Perfekt formuliert? Eine Frage, die eher surrealistisch klingt oder womöglich: mystifiziert. Jedenfalls kaum verständlich – für mich zumindest … Würde das Gebilde verständlicher durch eine (fehlende) erste Zeile?
Hier ein Versuch zu verstehen:
Magnolien „sprechen“, wenn überhaupt, „metaphorisch“ – von Schönheit, Anbrechen des Frühlings, Überwältigung durch die Fülle der Blumen und ihre Farben. Können Magnolien auch metaphorisch „schweigen“, d.h. nichts sagen, verstummen, ihr Schweigen sogar steigern in „tieferes Schweigen“? Was soll „schweigen und tiefer schweigen“ der Magnolien bedeuten?
Ich gestehe, dass ich ziemlich ratlos bin und voller Fragen … Ich sehe keinen Ansatz, den Sinn des „Haiku“ zu ergründen. Gern würde ich dazu den Autor/die Autorin hören. Wollte er/sie ein Haiku schreiben – und was will er damit sagen?