Top-Extra August 2023

und Haiku-Besprechung
von René Possél

 

mittsommer
in den traum gesät
schwalbenlieder

Michaela Kiock

 

Rasensprenger
die Flucht gelingt
nicht immer

Wolfgang Hölz

 

still …
wie sonne sich fädelt
durch lärchengeäst

Helga Stania

 

der Heulader
bringt eine Fuhre
Abendrot

Friedrich Winzer

 

hospizbesuch
sie zeigt mir die farben
in der dunkelheit

Michaela Kiock

 

in den Ruhestand …
aus seiner Aktentasche lugt
eine Sonnenblume

Ramona Linke

 

Ostseeurlaub –
das ewige Rauschen
ihres Laptops

Alexander Groth

 

Sturzflug des Falken
kurz eine Wunde
im Blau des Mittags

Dyrk-Olaf Schreiber

 

Therapie …
die Klangschale gefüllt
mit Chips

Friedrich Winzer

 

gepackte koffer
in mutters schublade
ihr kinderarmband

Michaela Kiock

 

Im Juli 2023 gingen für die Monatsauswahl Haiku heute 358 Kurzgedichte von 69 Autoren ein. René Possél bekam die Liste der Haiku alphabetisch geordnet ohne Autorennamen vorgelegt und wählte aus ihr 10 Texte als besonders gelungen aus. Die ausgewählten Texte stehen in einer von ihm gewählten Reihenfolge.

Zu einem der Haiku schrieb er die untere Besprechung.

 

mittsommer
in den traum gesät
schwalbenlieder

Michaela Kiock

 

Ich gestehe, ich habe ein Sommer-Haiku (aus-)gesucht. Dies scheint mir ein passendes zu sein. Es beginnt mit dem Begriff des längsten Sommertages, zugleich einer der berühmtesten Feiertage in Schweden: „mittsommer“. Es ist vielleicht ein Hinweis auf das Urlaubsland des Autors/der Autorin …

Die zweite Zeile führt eine Tätigkeit an, die im Sommerurlaub am ehesten gelingen mag: das Träumen – in der Nacht oder am Tag …

Und sie garniert den Sommertraum mit dem poetischen Wort „gesät“. Was in den Traum hineingesät ist, d.h. gepflanzt um aufzugehen, wird in der dritten Zeile verraten. Sie verstärkt den Eindruck des sommerlich Leichten, dessen, was man nur wahrnehmen kann, wenn man entspannt ist und traumbereit, nämlich: Die Lieder, die Gesänge der Schwalben. Was wird die Frucht der in den Sommertraum gesäten Schwalbenlieder sein?!

Das ist alles. Es ist nicht wenig: Ein Haiku, das eine verdichtete Sommersituation beschwört – und damit den Leser oder Hörer anregt, selber an eigene Sommerbilder oder Situationen zu denken, die für ihn den Sommer (-Traum) ausmachen. Es ist ein schönes Sommerhaiku, finde ich. Träumt also schön in eurem Sommerurlaub: sweet dreams – faites de beaux rêves – sogni d’oro!

 

Zur Monatsausgabe