Helga Stania (2024): Steinglyphen und Traumlogik

Buchvorstellung von Volker Friebel

Helga Stania (2024): Steinglyphen und Traumlogik. Kurzlyrik: Haiku, Tanka und Haikuprosa. Tredition, Ahrensburg. 107 Seiten, 15,00 €.

Hier geht es zum Buch und einer Bestellmöglichkeit bei Amazon.

 

Über Umschlag und Schriftgestaltung müssen wohl unterschiedliche Ansichten möglich sein, mir gefallen sie nicht. Aber die Texte. Im Buch stehen nur sie, ohne Einführung, im Netz finde ich ein paar Sätze der Autorin dazu: „Form und Themenbereiche haben sich im Wandel der Zeit verändert und nähern sich moderner Kurzlyrik an. So stehen dreizeilige neben zwei- und einzeiligen Haiku. Bei den Tanka wird hier die traditionelle Form beibehalten.“ Ganz gleich, welche Form die Autorin für sie wählt, der Gehalt der Verse und (wenigen) Prosastücke zählt für mich zum Inspirierendsten, das es in der deutschsprachigen Dichtung gibt.

auch dort lächelt jemand fernes ufer

nach der weinlese ein stück käse und die plejaden

das licht
erloschener sterne
holzkreuze

am himmelsrand ein bauer steckt seine weide ab

An den Beispielen lässt sich erkennen, wie ganz unterschiedliche Kompositionsprinzipien dennoch eine sehr eigene Handschrift ergeben – in der eine hohe Sprachkunst aufscheint und eine Ergriffenheit vor dem Wunder der Welt spürbar wird. Helga Stanias Verse erforschen die manchmal verblüffende Logik von Assoziationen, die Dinge werden dabei ohne Wertung nebeneinander gestellt. „Traumlogik“ heißt es im Titel des Buchs dazu. Aber es ist die Logik des Lebens, die tiefer ist als das bloß Richtige, das in den mathematischen Lehrbüchern verzeichnet wird. Schulaufsätze der Art „Die Dichterin will uns mit ihren Versen dieses und jenes sagen“, werden vor ihrer wie vor der meisten inspirierten Dichtung sinnlos.

Das Buch ist damit auch eine Erkundung der Balance von Vagheit und Konkretheit. Konkretheit gehört unbedingt zum Haiku, sie ist eines seiner Markenzeichen. Doch nur genau das zu setzen, was zu sehen ist, reicht für ein wirklich gutes Haiku kaum je aus. Etwas im Text vage oder fern sein zu lassen oder die Verbindung zwischen Textteilen bewusst lose zu gestalten, ermöglicht Texten Tiefe. Zu viel Vagheit läuft allerdings Gefahr, den Leser zu verlieren. Das ist sehr vom einzelnen Leser und seinen Vorerfahrungen abhängig – über die die Autorin nichts weiß. Beispiel für einen für mich zu vagen Text:

sandpfade –
in der Tiefe
reihen sich wörter

Vor dem Dilemma, zu einfache und damit uninteressante Texte zu setzen oder zu subjektiv vage, stehen alle Dichter.

Im Buch finden sich außer den Haiku fünf Tanka und drei Texte Haiku-Prosa. Ich möchte besonders auf die wie ich finde außergewöhnliche Haiku-Prosa hinweisen. Es ist üblich geworden, in diesem Genre eine kurze Begebenheit in Prosa zu berichten und mit einem oder mehreren Haiku zu garnieren. Die Texte von Helga Stania entsprechen dem nur oberflächlich. Prosa und Haiku unterscheiden sich bei ihr in der Sprache weit weniger; ich habe außerdem den Eindruck, dass die Texte, auch wenn sie ganz konkret und aus einer erlebten Situation heraus geschrieben wirken, weniger über eine Welt berichten, als diese Welt erst erschaffen.

Helga Stania hat die letzten Jahre im Netz viele herausragende Texte veröffentlicht – manche von mir sehr geschätzten wurden in dieses Buch gar nicht aufgenommen, es ist also nur eine gute Auswahl aus einem umfangreicheren Werk. Mein Traum wäre eine Gesamtausgabe, von der Autorin selbst herausgegeben, als eBuch, so dass die Seitenzahl keine Rolle spielt.

 

Echoräume. Ein Gespräch über das Haiku zwischen Helga Stania und Volker Friebel (2023)