Szala – Wegbereiterin des Haiku in Deutschland

Ein Gespräch über das Haiku
zwischen Sabine Sommerkamp und Volker Friebel

 

Volker Friebel: Seit Mitte der 70er Jahre schreiben Sie Haiku und fördern seine Verbreitung in Deutschland. Von japanischer Seite gab man Ihnen den Dichternamen „Szala“ – nach den weißen Blüten der Sommerkamelie. Im Herbst 1979 fand in Bottrop das vielleicht erste Haiku-Treffen deutschsprachiger Autoren statt. Sie waren dabei, Sie haben sich an den Auseinandersetzungen um die Poetik des westlichen Haiku beteiligt und darüber geschrieben. 1984 erschien Ihre Dissertation „Der Einfluß des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne. Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik“. Ihre Beschäftigung mit dem Haiku war offensichtlich von Anfang an sehr gründlich. Wie und wann sind Sie denn auf das Haiku gestoßen? Was hat Sie an dieser Gedichtform angezogen?

Sabine Sommerkamp: Das Interesse an japanischer Kultur wurde bereits in meiner Kindheit geweckt, als ich das erste Mal im Alter von fünf Jahren mit meinen Eltern nach Japan reiste.
Dieses frühe prägende Erlebnis legte den Grundstein für mein späteres Interesse an Tanka- und Haiku-Dichtung. Ihr begegnete ich zum Ende meiner Schulzeit und richtete mein Studium danach aus. Meine Staatsexamensarbeit behandelt den Einfluss japanischer Haiku-Dichtung auf die westliche Dichtung und Kultur – ein Thema, das ich in meiner anschließenden Doktorarbeit grundlegend und umfassend erforschte.
Fasziniert am Haiku hat mich die konzentrierte Kürze, der Geist fernöstlicher Ästhetik, das Einheitsgefühl von Mensch und Natur, das Unausgesprochene und doch Allessagende.

Volker Friebel: Die Dichterrunde 1979 in Bottrop einigte sich darauf, „dass Kürze, Prägnanz, Bildlichkeit und die Übermittlung eines verborgenen Sinns verbindliche Kriterien für ein mögliches deutschsprachiges Haiku seien.“ (apropos 3, 1982, Seite 56). Mit Gründung der Deutschen Haiku-Gesellschaft sollte sich diese großzügige Beschreibung deutlich verengen. Was allerdings heute im deutschsprachigen Raum und auch in den englischsprachigen Veröffentlichungen als Haiku erscheint, sieht manchmal sehr verschieden aus. Dadaistisch anmutende Texte und Splitter moderner Lyrik stehen neben Nachdichtungen im Stil der alten japanischen Meister. Lässt sich trotzdem etwas erkennen, was allen Texten, die sich als Haiku bezeichnen, gemeinsam ist und das sich durch alle Bemühungen um eine Definierung der Form durchzieht? Muss es so etwas überhaupt geben?

Sabine Sommerkamp: Gemeinsamkeiten sind sicherlich Kürze, eine elliptische Struktur und ein „Überraschungsmoment“. Die Frage nach einer Definierung der Form ist relativ. Die Ausfächerung der ihrem Charakter nach unterschiedlichen „Haiku“, wie sie 1979 in Bottrop erörtert wurde, hat bei uns seit der Jahrtausendwende, insbesondere durch die Verbreitung durch das Internet, stark zugenommen, in einer Weise, wie Harold G. Henderson sie vor 60 Jahren für das nordamerikanischen Haiku konstatierte: „When it comes to establishing standards for haiku written in English .. it does seem likely that our poets will establish norms of their own.“
Persönlich betrachte ich die Orientierung am klassischen japanischen Haiku und seinen Quellen als wesentlich und das Bemühen um eine vergleichbare Form, ähnlich wie Imma von Bodmershof. Im Jahr der „Ersten bundesdeutschen Haiku-Biennale“ in Bottrop schrieb sie mir:
„… als ich damals die ersten Haiku herausgab, dachte ich noch, es sei erlaubt, mit unter 19 oder sogar 21 Silben … Indessen bin ich ganz davon abgerückt. In der Zahl 17 ist eine Kraft enthalten, die durch nichts anderes zu ersetzen ist. …“
In einem weiteren Brief aus demselben Jahr heißt es: „[Haiku] … können einem nur begegnen, es kann nur ein Bild auf einmal durchsichtig werden für das Symbol, und um das allein geht es in meinen Augen.“

Volker Friebel: Die Frage ist, was eine „vergleichbare Form“ im deutschsprachigen Haiku sein kann. Einzeiler? 17-Silber? Texte mit einem gleichen Informationsgehalt wie ein japanisches Haiku, also um die 13 Silben? Der japanischstämmige Literatur- und Kulturwissenschaftler Arata Takeda hat in einem Aufsatz dazu gezeigt, dass die Antworten nicht einfach sein können (Takeda 2007). Wahrscheinlich ist es ganz gut, wenn diese Frage gar nicht abschließend beantwortet wird, da Unruhe in der Frage der Form eben auch Lebendigkeit ist. Ich denke, ein Text sucht sich seine Form, ungefähr so wie Imma von Bodmershof oben in Ihrem Zitat es meint: Haiku können einem nur begegnen. Vielleicht suchen sie sich dann auch selbst eine passende Gestalt.

Sabine Sommerkamp: Durchaus. Mit Friedrich Schiller gesprochen, könnte es heißen: „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“, der Inhalt treibe die Form. Sicher sollte man nicht dogmatisch auf feste Vorgaben pochen. Persönlich halte ich es jedoch für wesentlich, sich orientierend an das Vorbild des klassischen japanischen Gedichtes zu halten, in direkter Auseinandersetzung mit den ästhetischen Kriterien. Ein Haiku sollte als Haiku erkennbar sein.

Volker Friebel: Sie waren Vize-Präsidentin des Deutschen Senryû-Zentrums in Düsseldorf, das von 1981 bis 1988 bestand. Ihrem Aufsatz zur deutschsprachigen Haiku-Dichtung zufolge (Sommerkamp 1992) kann das als Vorläufer der deutschen Haiku-Gesellschaft betrachtet werden, mit Schwerpunkt allerdings auf dem Senryû. Wie hat das Senryû-Zentrum denn funktioniert? Ganz über Korrespondenz? Oder gab es auch Treffen? Wer und was ist Ihnen aus diesen frühen Jahren der Auseinandersetzung mit dem Haiku als besonders wichtig in Erinnerung geblieben?

Sabine Sommerkamp: Die Kommunikation verlief überwiegend schriftlich (noch ohne PC und Internet!), teils in Gesprächen, persönlich, oftmals auch telefonisch. Größere Treffen gab es nicht. 1984 wurde das „Senryû-Zentrum“ Mitglied der „Federation of International Poetry“ in Washington, es war von vornherein international ausgerichtet. Etwa 120 in- und ausländische Autoren waren Mitglied. Beiträge erschienen in vier von Carl Heinz Kurz zwischen 1985 und 1987 publizierten Almanachen. Mit ihm führte ich die Vorgespräche zur Gründung einer Haiku-Gesellschaft in Deutschland. Sie sollte am Vorbild der „Haiku Society of America“ orientiert sein, mit einer breiten Haiku-Palette, wie sie sich im „Haiku Spektrum“, dem ersten regelmäßig in Deutschland erscheinenden Forum für deutschsprachige und internationale Haiku-Dichtung, bis 1985 entwickelt hatte. Meine Korrespondenz mit für das Haiku und seine hiesige Entwicklung wesentlichen Persönlichkeiten war seit Mitte der 70er Jahre zunehmend umfangreich und international, vor allem mit Japan, USA und Kanada. Daneben fanden viele persönliche Gespräche und Besuche bei uns im Hause statt. Dr. Georg Jappe, ein langjähriger Freund der von Bodmershofs, war mehrfach zu Gast, Günther Klinge und andere deutsche Haiku-Autoren, die US-Amerikanerin Jane Reichhold wie auch zahlreiche Wissenschaftler vor allem aus Japan, unter ihnen die Professoren Hachiro Sakanishi, Kenji Takeda, Sho Kaneko, Yukio Kotani, Dr. Toyoji Akada und zahlreiche weitere, deren Namen im „Vorwort“ meiner Dissertation genannt sind.

Volker Friebel: Ihre eigenen veröffentlichten Haiku und Tanka sind gut zu lesen und atmen eine angenehme Leichtigkeit, sind dabei aber alles andere als flach – ich assoziiere Schmetterlingsflügel. Seit einigen Jahren nähert sich der Schwerpunkt des deutschsprachigen Haiku stark moderner Lyrik an, die Verse dunkel, in der variablen Form kaum als eigene Literaturgattung erkennbar. Ich denke mir, dass der Raum, in dem sich Haiku-Dichter bewegen können, eher breiter als schmaler sein sollte und bin damit deshalb durchaus zufrieden. Doch deutschsprachige Haiku-Dichter, die ihre Texte an der japanischen Klassik orientieren und dabei akzeptable Texte hervorbringen, sind selten geworden. Sollte man die Orientierung an der japanischen Klassik fördern?

Sabine Sommerkamp: Auch ich halte eine breite Palette von Haiku für interessant und inspirierend. So war das redaktionell von mir geleitete „Haiku Spektrum“ ausgerichtet, und unter diesem Aspekt bin ich wissenschaftlich in meiner Dissertation über Haiku-Dichtung vorgegangen, wie die US-amerikanische Haiku-Autorin Jane Reichhold in ihrer Rezension treffend darüber schreibt: „… for me, the greatest feat Sabine Sommerkamp has accomplished in her work is her refusal to take sides in the great debate that begins, ‚Haiku is this and never that …’“. Persönlich würde ich, wie schon gesagt, die Orientierung an der japanischen Klassik fördern. Wie wichtig und hilfreich dies ist, sehe ich unter anderem auch in der Arbeit mit Schülern bzw. mit Teilnehmern in meinem Haiku-Workshop, gerade wenn sie beginnen, erstmals Haiku zu schreiben.

Volker Friebel: Neben Ihrer Beschäftigung mit Lyrik malen Sie und haben ein Album mit US-amerikanischen Liedern der 1930er bis 1960er Jahre eingesungen. Was gibt Ihnen persönlich kreativer Ausdruck und Beschäftigung mit Kunst?

Sabine Sommerkamp: Freude und die Möglichkeiten, sich künstlerisch vielfältig mitzuteilen.

Volker Friebel: Gefühlt scheint Lyrik in der Gesellschaft schon seit Jahrhunderten immer weniger beachtet und wenn, dann nicht geschätzt, sondern belächelt zu werden. Wo könnten Ihrer Auffassung nach die Ursachen dafür liegen, und was wäre nötig, das zu ändern?

Sabine Sommerkamp: Von den drei großen Gattungen der Literatur – Epik, Lyrik und Dramatik – ist Lyrik, denke ich, die „gefühlvollste“ Form der Literatur und zumeist sehr persönlich; in ihr finden subjektives Erleben, Gedanken, Gefühle, Stimmungen ihren poetischen, formal gebundenen Ausdruck. Lyrik ist immer etwas Besonderes, stellt einen gewissen Anspruch an den Leser bzw. Adressaten. Vielleicht findet sie weniger Beachtung als Unterhaltungsliteratur, Romane, Krimis, Theaterstücke etc., da mit ihr im Allgemeinen ein gehobener Anspruch verbunden ist. Lyrik, die leicht und direkt verständlich ist, dem Publikumsgeschmack gerecht wird, erreicht eine breitere Öffentlichkeit, wie Texte von Wilhelm Busch und Ringelnatz oder etwa Rap und Poetry Slams. – Das Haiku ist auf dem Weg dahin …

Volker Friebel: Was wünschen Sie sich für das gegenwärtige deutschsprachige Haiku?

Sabine Sommerkamp: Eine anhaltend wachsende Verbreitung und – neben dem weiteren Entstehen experimenteller Formen – die Orientierung am klassischen japanischen Vorbild und dessen Wahrung.

Sabine Sommerkamp: „Über meine Haiku- und Tanka-Dichtung“

Die Suche des Menschen nach der Einheit von sich und der Welt lenkt das menschliche Streben nach Harmonie – überall, ob in Ost oder West, damals wie heute.

Glücklich und erfüllt ist der schreibende Mensch, wenn er in Bildern der Natur ein Echo, einen Spiegel seiner Gedanken und Gefühle, seines Selbst findet.

Welche poetischen Ausdrucksformen könnten hierfür geeigneter sein als das Haiku oder Tanka?

Im Alter von fünf Jahren, 1957, reiste ich mit meinen Eltern nach Japan. Wir wohnten in alten, traditionellen Hotels, aßen japanisch, schliefen auf Tatami, bewegten uns in kunstvoll angelegten japanischen Gärten. Als Kind erlebte ich hier, was mir erst viel später bewusst wurde: die unmittelbare Nähe zur Natur und den Geist fernöstlicher Ästhetik, die auf die Einheit von Mensch und Natur ausgerichtet ist – anders als in der westlichen Welt, in der der Mensch stärker und bestimmend im Vordergrund steht.

Dieses frühe prägende Erlebnis legte den Grundstein für mein späteres Interesse an Tanka- und Haiku-Dichtung. Ihr begegnete ich zum Ende meiner Schulzeit und richtete mein Studium danach aus. Meine Staatsexamensarbeit behandelt den Einfluss japanischer Haiku-Dichtung auf die westliche Dichtung und Kultur – ein Thema, das ich in meiner anschließenden Doktorarbeit grundlegend und umfassend erforschte.

Unter dem Titel „Der Einfluß des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne. Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik“ entstand nach einem längeren Forschungsaufenthalt in Kanada und den USA von 1980 bis 1983 eine Dissertation über den Einfluss von Haiku-Dichtung in England und den USA (Ende 19. Jahrhundert bis 1983). Sie ist nach wie vor aktuell und gefragt, gilt als die bislang umfassendste Studie auf diesem Gebiet. Als durchgesehener und um ein Nachwort erweiterter Neudruck der Ausgabe 1984 erschien die Studie jetzt, 2023, als gebundenes Buch, wie auch als E-Book, im Iudicium Verlag.

Schwerpunkte der Dissertation sind: Imagismus (Ezra Pound u.a.), Beat Generation (Allen Ginsberg, Jack Kerouac, Gary Snyder u.a.), Haiku-Strömungen nach dem Ersten Weltkrieg (u.a. im Werk von W.B. Yeates, Ernest Hemingway, Carl Sandburg, T.S. Eliot, William Carlos Williams) und nach dem Zweiten Weltkrieg (u.a. im Werk von Aldous Huxley, W.H. Auden, J.D. Salinger und in der Konkreten Poesie), Beginn einer englischsprachigen Haiku-Dichtung (England, USA, Kanada), auch einer Haiku-Dichtung in Deutschland und einer außerliterarischen Haiku-Kultur (Haiku in Film, Fotografie, Musik, Tanz; Haiku im Schulunterricht, in der Poesietherapie).

Der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Haiku-Dichtung folgte während meines anschließenden Referendariats die praktische Beschäftigung. 1984/85 schrieb ich die erste Fassung des Haiku-Märchens „Die Sonnensuche“. Es war Grundlage eines Unterrichtsversuchs mit zwölfjährigen Gymnasialschülern (32) im Deutschunterricht. Durch das Märchen lernten sie den japanischen Dreizeiler und seine Poetik kennen und schrieben mehr als 600 Haiku. Die große Resonanz bei den Schülern und die Qualität ihrer Gedichte bestätigten die Möglichkeit, auch im Deutschen adäquat damit umzugehen.

Auf Anregung japanischer Germanisten überarbeitete ich das Märchen-Manuskript, so dass es 1990 in Buchform im Christophorus-Verlag erschien. Das Buch ist der Versuch einer Synthese von japanischem und westlichem Dichtungsgut. Es ist ein mystisches Märchen von dem zwölfjährigen Jungen Nashi San, einem fiktiven Sohn Matsuo Bashōs. Auf der Suche nach der Sonne begibt er sich auf eine Reise durch den Garten der Vier Jahreszeiten, an deren Ende er die Glasmenschen erlöst. Auf seiner Reise lernt er auf abenteuerliche Weise die Poetik des Haiku kennen. Neu ist für ihn vor allem auch das Erkennen von Symbolen und sinnbildhaften Zusammenhängen in der Natur – ein Sehen, das Voraussetzung für die Kunst des Haiku-Dichtens ist. Dieses „Sehen mit dem Herzen“ – ein meditatives Einswerden von Mensch und Natur – steht im Zentrum des Märchens. Nashi San geht diesen „Pfad der Erkenntnis“, er findet am Ende das Licht und damit die Sonne und verfügt so über jene poetische Kraft des Haiku-Dichtens, die den in Gefühlskälte erstarrten Glasmenschen die Sinnzusammenhänge des Lebens vor Augen führt und sie wieder in normale Menschen aus Fleisch und Blut und mit Herz verwandelt.
2022 übernahm der Iudicium Verlag den Vertrieb des Buches.

Haiku-Dichtung einem breiten deutschsprachigen Publikum zu vermitteln, war Ziel meiner redaktionellen Beschäftigung mit dem japanischen Dreizeiler. Als Redakteurin des „Haiku Spektrums“ der Literaturzeitschrift „apropos“ – dem ersten regelmäßig erscheinenden Haiku-Forum für deutschsprachige und internationale Haiku-Dichtung in Deutschland – und in anderen Magazinen wie auch in zahlreichen Vorträgen versuchte ich, am Vorbild der USA, Kanadas und Großbritanniens Haiku-Dichtung im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen.

Wie kam es nun dazu, dass ich selber Haiku und später auch Tanka schrieb? – Anhaltspunkte dafür, dass man Haiku auch in deutscher Sprache schreiben kann, fand ich zuerst bei Rainer Maria Rilke, vor allem aber bei der mit ihm befreundeten österreichischen Schriftstellerin Imma von Bodmershof. Als ich Mitte der 70er Jahre eine schriftliche Korrespondenz mit ihr begann, war sie schon hochbetagt, doch mit ihren Haiku und Ausführungen zu meinen Gedichten für mich richtungsweisend.

Am Vorbild klassischer japanischer Haiku-Dichter begann ich damals, eigene Haiku zu schreiben. 1979 entstand unter dem Titel „58 Haiku“ eine erste Sammlung, zusammengestellt zum 58. Geburtstag meines Vaters und ihm gewidmet.

Einige von ihnen sind im 1989 veröffentlichten Gedichtband „Lichtmomente“ enthalten, 1996 in zweiter Auflage erschienen. Ebenso zwei Zyklen von Tanka; erste Tanka entstanden Anfang der 1980er Jahre unter dem starken Eindruck persönlicher Begegnungen, orientiert am klassischen japanischen Vorbild.

Neben Tanka und Haiku enthält dieser Lyrikband auch andere Gedichte zu verschiedenen Themenbereichen (Natur, Religion, Liebe, Betrachtungen). An diesen Gedichten wird deutlich, was ebenfalls für meine übrige Lyrik gilt: die maßgebliche Schulung am Haiku wie auch am Tanka. Dies zeigt sich insbesondere an der Bildlichkeit, der Symbolik, der Perspektive, der Wortgenauigkeit und im Naturbezug.

Eine größere Zusammenstellung von Tanka und Haiku erschien 1993 unter dem Titel „Im Herzen des Gartens“. Die Buchausgabe ist eine Sammlung von 84 Gedichten: 36 Tanka und 48 Haiku.

Die Tanka gliedern sich in drei Zyklen zu je 12 Gedichten. Jeder Zyklus ist ein geschlossenes Ganzes und beinhaltet das Thema „Liebe“. Der menschliche Zustand, die Gefühle korrespondieren mit einzelnen Naturbildern. Die 48 Haiku gliedern sich in vier Zyklen – Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter – zu je 12 Gedichten. Auch hier ist jeder Zyklus in sich geschlossen; er bringt den Rhythmus der jeweiligen Jahreszeit zum Ausdruck und den Einklang von Mensch und Natur, ohne dass der Mensch im Vordergrund steht.

Eine tiefe, persönliche Referenz an den heiligen Berg Japans, den ich als Fünfjährige erstmals sah, bilden die „17 Ansichten des Berges Fuji – Bilder und Tanka“, 2020 zweisprachig, lettisch-deutsch, bei Jumava in Lettland erschienen, 2021 im Münchner Iudicium Verlag als deutsch-japanische Ausgabe, mit den Übersetzungen von Kenji Takeda.

Im Laufe der Zeit sind parallel viele weitere Gedichte entstanden, die auf ihre Veröffentlichung warten. Doch ich habe keine Eile damit und schreibe fortlaufend weiter.

Wichtig ist mir hingegen die literarische Korrespondenz und das Zusammenwirken mit Freunden der Haiku- und Tanka-Kunst. Dieses begann auf internationaler Ebene Anfang der 1980er Jahre, Begegnungen insbesondere auch mit japanischen und chinesischen Literaturwissenschaftlern und Schriftstellern, die persönlich und literarisch zu wertvollen Freundschaften wurden.

Durch Vermittlung von Professor Shin’ichi Hoshino (†1998) und Professor Hachiro Sakanishi (†2005) lernte ich im Frühjahr 1985 Professor Kenji Takeda in Hamburg kennen. Er begann im Folgejahr, meine Dissertation ins Japanische zu übersetzen und kapitelweise an der Kobe-Gakuin Universität zu veröffentlichen.

Später folgten Übersetzungen des Haiku-Märchens „Die Sonnensuche“ und zahlreiche meiner Gedichte. Und Kenji Takeda, der im Laufe der Jahre wie ein japanischer Bruder für mich wurde, war es, der mir meinen japanischen Dichternamen gab: „Szala“, benannt nach den weißen, Kamelien ähnlichen Blüten des Szala-Baumes, der Sommerkamelie.

Die Übersetzung der „Sonnensuche“ ins Chinesische wie auch eine Reihe meiner Gedichte und einiger Haiku, die mein Sohn Alexander schrieb, verdanken wir Wang Taizhi und seiner Frau Shen Huizhu. Wang Taizhi, Germanist und Dichter, und seine Frau wurden während seiner Amtszeit als Generalkonsul Chinas in Hamburg (1988-1992) zu literarischen Freunden.

Das Jahr der Begegnung mit Kenji Takeda, 1985, ist auch das Jahr der Begegnung mit einer Persönlichkeit, die für mich gleichermaßen Vorbild und Inbegriff chinesischer Literatur-Kultur ist: Wang Meng.

Wir lernten uns im Sommer in Hamburg kennen. Als Redakteurin des NDR-Fernsehens hatte ich damals die Aufgabe, eine Gäste-Gruppe namhafter chinesischer Schriftsteller zu begleiten. Die Unterhaltung mit Wang Meng verlief in englischer Sprache; trotz dieser Sprachbarriere fielen mir drei Eigenheiten sofort auf: Wang Mengs Humor, sein bescheidenes Auftreten und seine Ausstrahlung. Unter den chinesischen Gästen befand sich auch der Schriftsteller Zou Difan, der einige meiner Haiku ins Chinesische übersetzte und in der „Pekinger Abendzeitung“ veröffentlichte.

Als ich 1986 auf Einladung des Chinesischen Staatsfernsehens nach China reiste, traf ich in Beijing Wang Meng wieder. Kurz zuvor war er zum Kulturminister Chinas ernannt worden. Trotz seines vollen Terminkalenders nahm er sich Zeit für das Wiedersehen. Es war eine herzliche Begegnung, bei der Wang Meng Zou Difans Übersetzung meiner Haiku las.

Sie gefielen ihm. Er machte mir den Vorschlag, Haiku von mir ins Chinesische zu übersetzen. Auch erklärte er mir, dass Haiku ursprünglich Wurzeln in der chinesischen Dichtung hätten. Glücklich über Wang Mengs Vorschlag, übertrug ich eine Reihe weiterer Haiku und auch Tanka ins Englische. Vom Englischen übersetzte Wang Meng dann ins Chinesische. Die ersten 12 chinesischsprachigen Haiku veröffentlichte er samt seiner Kommentierung 1986 in der „Volkszeitung“, deren Auflage damals mehr als 10 Millionen Exemplare betrug. 1990 stellte Wang Meng den Lesern der „Guang Ming Daily“, einer der wichtigsten Tageszeitungen des Landes, 12 meiner Tanka in seiner Übersetzung vor.

Im Laufe der folgenden Jahre entstanden weitere publizierte Übersetzungen. Diese Veröffentlichungen bewirkten in China eine Renaissance der in der chinesischen Dichtung fußenden, seit der Kulturrevolution aus politischen Gründen jedoch verpönten, ursprünglich höfischen Dichtungsformen.
Erstmals sahen wir uns im Oktober 2007 in Beijing wieder – nach 21 Jahren, dieses Mal in Begleitung meines Sohnes Alexander. Es war ein bewegendes Wiedersehen und trotz der vielen Jahre so als hätten wir uns erst gestern zuletzt gesehen! Literatur verbindet die Herzen, über alle Grenzen, über alle Zeiträume.

Wang Meng schenkte mir eine prächtig ausgestattete Anthologie mit einigen meiner darin veröffentlichten Tanka in seiner Übersetzung und illustriert von einem namhaften chinesischen Künstler. Mein Geschenk an Wang Meng war das Büchlein „Im Herzen des Gartens“.

Im Jahr darauf, im September 2008, trugen Wang Meng und ich auf einer Literaturveranstaltung in Hamburg Haiku daraus vor, dialogisch, deutsch – chinesisch. Der Kreis hatte sich geschlossen:
China – Japan – Deutschland – China.

Zur Person

Dr. Sabine Sommerkamp-Homann
Quelle: Honorarkonsulat Lettland

*1952 in Hamburg, verheiratet, ein Sohn.
Seit 1997 als Honorarkonsulin der Republik Lettland in Hamburg tätig.
Senatorin h.c. der Lettischen Kulturakademie in Riga.
1991-2009 Leiterin Strategische Zielgruppen, Beiersdorf AG.
1986-1991 Stellvertretende Konzernsprecherin der Beiersdorf AG.
1984-1986 Redakteurin beim NDR-Fernsehen.
sowie freie Mitarbeiterin bei großen Printmedien wie „Die Welt“ und „GEO“.
1976-1982 Regieassistentin bei der Deutsche Wochenschau/cinecentrum (Schwerpunkt Industriefilm), neben dem Studium.

Studium der Germanistik, Anglistik/Amerikanistik, Erziehungswissenschaft, Japanologie und Vergleichenden Religionswissenschaft. Erstes und Zweites Staatsexamen.
1984 Promotion zum Dr. phil. („Der Einfluß des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne: Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik“, Universität Hamburg).
1981 in „apropos – Zeitschrift für Kunst, Literatur, Kritik“: Einrichtung des „Haiku-Spektrum“ – des ersten regelmäßig in Deutschland erscheinenden Forums für deutschsprachige und internationale Haiku-Dichtung – redaktionelle Leitung bis 1985.
1981-1988 Vize-Präsidentin des „Deutschen Senryû-Zentrums“, Vorbereitung der Bildung einer Gesellschaft für Haiku-Dichtung und Mitgründung der Deutschen Haiku-Gesellschaft e.V. (1988).
Veröffentlichungen im In- und Ausland. Mehrere Literaturpreise (USA, Deutschland, Japan).
Ausgedehnte Aufenthalte in USA, Südamerika und dem Fernen Osten seit frühester Kindheit. Erste Japan-Reise 1957 im Alter von 5 Jahren.
Mitgliedschaften: „Deutscher Journalistenverband e.V.“, „Hamburger Autorenvereinigung e.V.“, „Deutsche Haiku-Gesellschaft e.V.“, „Haiku Society of America“, Kuratoriumsmitglied „Der Übersee-Club e.V.“, Stellv. Vorsitzende der „Deutsch-Lettischen Wissenschaftsgesellschaft e.V“ u.a.
In China erschienen Haiku und Tanka von Sabine Sommerkamp seit 1985 in Landessprache in der „Volkszeitung“ und anderen auflagenstarken Printmedien. Bekannt gemacht werden die Haiku und Tanka Sommerkamps insbesondere durch die Übersetzungen von Wang Meng (Kulturminister Chinas 1986-1989), der als Präsident des Allchinesischen Schriftstellerverbandes, bislang vier Mal nominiert für den Literaturnobelpreis, zu den meist gelesenen Schriftstellern Chinas zählt. Von japanischer Seite gab man Sabine Sommerkamp den Dichternamen „Szala“, nach dem Charakter ihrer Gedichte und in Anlehnung an den Szala-Baum, der mit seinen weißen zarten Blüten als „Baum der Erleuchtung“ gilt (der Legende nach soll Buddha unter dem Szala-Baum die Erleuchtung erfahren haben). 1993 wurde ihr der Ehrentitel „Senryû-Meister“ verliehen.

Sechs Haiku von der Autorin selbst ausgewählt

Erster Frühlingstag –
die Tür des Nachbarhauses
ist nur angelehnt.

Die weißen Rosen
erblüht – und ich noch immer
in Arbeitskleidung!

Aus dunkler Tiefe
zur Sonne aufgebrochen:
eine Seerose.

Alleingelassen
eine letzte Garbe Korn –
kalt weht heut` der Wind.

Vom Mond beschienen
der letzte Apfel am Baum –
wird er reif heut‘ nacht?

Vom kahlen Baume
fliegt die Krähe krächzend fort –
Wintereinsamkeit.

Sechs Haiku der Autorin ausgewählt von Volker Friebel

Vom Kirschbaum geträumt
eine Nacht lang – am Morgen
steht er in Blüte.

Mein Gärtchen verkauft –
wie anders klingt auf einmal
der Vögel Gesang!

Verlassener Strand –
zwei nackte Puppenarme
zum Vollmond gestreckt.

So schnell ich auch lauf‘,
immer folgt mein Schatten mir
in dieser Mondnacht.

Feuerwerkshimmel:
in offene Münder fällt
erstes Neujahrslicht.

Durch die Winternacht
das Brechen eines Astes –
Stille wie zuvor.

Verweise

Sommerkamp, Sabine (1989): Lichtmomente. Gedichte. Mit einem Vorwort von Horst Hammitzsch. Graphikum, Göttingen. 2. Auflage 1996.

Sommerkamp, Sabine (2023): Der Einfluss des Haiku auf Imagismus und jüngere Moderne. Studien zur englischen und amerikanischen Lyrik. Iudicium Verlag, München. Durchgesehener und um ein Nachwort erweiterter Neudruck der Ausgabe 1984.
Eine Vorstellung des Buchs durch Volker Friebel (2023): https://www.haiku-heute.de/archiv/sabine-sommerkamp-2023-der-einfluss-des-haiku-auf-imagismus-und-juengere-moderne/
Eine Rezension von Rüdiger Jung (2023): https://www.haiku-heute.de/archiv/rezension-ruediger-jung-sabine-sommerkamp-2023-der-einfluss-des-haiku-auf-imagismus-und-juengere-moderne/
Zum Buch erschien ein Foto-Band der Forschungsreise nach Nordamerika als pdf:
Sabine Sommerkamp (2023): The Narrow Road to the Far West. Augenblicke meiner Reise nach Kanada und USA vom 20. Februar bis 18. Mai 1981. Zu finden auf: http://www.sabine-sommerkamp.de/literatur.html.

Sommerkamp, Sabine (1990): Die Sonnensuche. Von Glasmenschen, Eiszeiten und der Macht der Poesie. Mit Bildern von Irene Müller. Nachwort von Hans Stumpfeldt. Christophorus-Verlag. 2022 Übernahme des Vertriebs durch den Iudicium-Verlag, München.
Sommerkamp, Sabine (1999): Zhuixun taiyang („Die Sonnensuche“), in: Wang Taizhi / Shen Huizhu tr.: Deyizha mingjia tonghua („Märchen der deutschen Meister“), Seite 386-435. Haitun chubanshe Waiwen chubanshe, Beijing.
Zommerkampa, Sabine (2004): Saules meklējumos. Par stikla cilvēkiem un poēzijas varu. No vācu valodas tulkojusi („aus dem Deutschen übersetzt von“) Aija Jacovica. Jumava, Riga.

Sommerkamp, Sabine (1992): Die deutschsprachige Haiku-Dichtung: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. In: Araki Tadeo (1992): Deutsch-Japanische Begegnung in Kurzgedichten. Iudicium-Verlag, München, Seite 79-91.

Sommerkamp, Sabine (1993): Im Herzen des Gartens. Tanka und Haiku. Graphikum, Göttingen.

Sommerkamp, Sabine (2012): Back in Time. Songs from the 1930s to the ’60s. Whiterock Records.

Sommerkamp, Sabine (2014): Paintings 2003-2013. Malerei. Nachwort: Prof. Klaus Peter Nebel. Alsterverlag, Hamburg. 2. Auflage 2016.

Zommerkampa, Sabīne (2020): 17 skati uz Fudži kalnu – Fotoattēli un tankas / Sabine Sommerkamp: 17 Ansichten des Berges Fuji – Bilder und Tanka. Sprache: lettisch – deutsch. Aus dem Deutschen übersetzt von Anita Muitiniece. Einführung: Dietrich Krusche, Nachwort: Prof. Klaus Peter Nebel. 56 Seiten mit 22 Farbabbildungen. Jumava Verlag, Riga. Erhältlich im Onlineshop des Jumava Verlages: https://jumava.lv/

Sommerkamp, Sabine (2021): 17 Ansichten des Berges Fuji – Bilder und Tanka. Deutsch – Japanisch, in’s Japanische übersetzt von Kenji Takeda. Einführung: Dietrich Krusche, Nachwort: Prof. Klaus Peter Nebel. Iudicium Verlag, München.

Sommerkamp, Sabine: Beiträge als Redakteurin des „Haiku-Spektrums“ in der Zeitschrift „apropos“ sowie weitere Veröffentlichungen sind auf ihrer Netzseite http://www.sabine-sommerkamp.de/literatur.html einsehbar.

 

Kurz, Carl Heinz (1984) (Hg): Schwing deine Flügel. Erster Almanach des Deutschen Senryu. Graphikum, Göttingen, 32 Seiten.

Takeda, Arata (2007): Überschwang durch Überschuss. Probleme beim Übersetzen einer Form – am Beispiel des Haiku. Eine theoretische Überlegung und ein praktischer Vorschlag. Arcadia, 42, 20-44. Nachdruck in Sommergras (2008), Nummer 83, 4-33: https://haiku.de/files_doc/83-Takeda.pdf

 

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